Dämonenherz
munter weiter. Anna fiel in den Fernsehsessel und beobachtete amüsiert die koketten Drehungen ihres Vaters. Er sollte nicht allein leben, dachte sie plötzlich. Ich vermisse meine Mutter genauso sehr wie er. Aber er braucht jemanden, der für ihn da ist und ihn liebt. Er hat es verdient. Aber welche Frau würde sich in dieses Haus wagen?
Es war Freitagabend. Die Arbeiten auf der Baustelle ruhten. Mittlerweile waren die Bagger bis auf fünfzig Meter an das Sternberg’sche Haus herangekommen. Mehrfach hatten Bauleiter an der Haustür geklingelt, aber ihr Vater hatte sie nicht hereingelassen. Mit schlechtem Gewissen erinnerte sich Anna an die immer noch ungeöffneten Briefe, die mittlerweile von der Telefonbank direkt in einen alten Schuhkarton gewandert waren. Sie musste sich unbedingt darum kümmern. Die nächste Amtshandlung dieser Supermarkt-Cowboys würde sein, die Polizei zu holen und das Haus gewaltsam zu räumen. Einen solchen Schock wollte sie ihrem Vater unbedingt ersparen.
Die letzten Tage waren nach all dem Stress der reinste Urlaub gewesen. Anna hatte sich in ihrem Büro von einer sehr beflissenen, jungen Expertin aus Wellers IT-Team in die Geheimnisse ihres Schreibtisches einweihen lassen. Sie wusste jetzt, wie sie sich vor überraschenden Eiswürfelattacken schützen konnte, wie die Jalousien und die Klimaanlage funktionierten, vor allem aber, wie sie ihren Computer bedienen konnte. Nur die fünfunddreißigste Etage war mit dieser modernen Technologie ausgerüstet, hatte ihr die junge Dame erklärt. Es waren Prototypen, an deren Entwicklung zur Serienreife sie gerade arbeitete. Schließlich hatte sie Anna mit einem aufmunternden Lächeln allein gelassen. Wenig später war Sam mit ihren Reiseunterlagen aufgetaucht, beziehungsweise dem, was die virtuelle Welt des Internets davon übriggelassen hatte. Das waren nicht mehr als zwei Buchungscodes.
»Dieser für den Flug, und dieser fürs Hotel. Das Sacher.«
Er sah sie an, als ob sie allein bei der Erwähnung Luftsprünge machensollte. Aber Anna kümmerte sich weiter um die Geheimnisse ihrer Schreibtischplatte. Sie berührte die Ecke links außen, und irgendwo hinter der Wand begann eine Espressomaschine, Kaffeebohnen zu mahlen.
»Ist das irgendwie verwandt oder verschwägert mit der Torte?«
»Gut kombiniert, Watson. Alle Ihre Vorgängerinnen haben der Abteilung übrigens ein Stück davon mitgebracht.«
»Ach ja?«
Kaffeeduft strömte in den Raum. Sam sah nicht so aus, als ob er vorhätte, sie nun endlich allein zu lassen. Er schenkte ihr ein Lächeln, das er für umwerfend halten musste, das aber wirkungslos an Anna abprallte. Trotzdem verzichtete sie darauf, ihn hinauszuwerfen. Sam war offenbar die Klatschbase der Chefetage. Solange Anna noch neu war, musste sie das Eisen schmieden.
»Erzählen Sie mir doch mal etwas über meine Vorgängerinnen. – Kaffee?«
»Gerne!«
Sam strich sich mit einer affektierten Geste die Haare aus der Stirn. Anna stand auf, machte einen großen Bogen um ihren Besucher und trat an die Schrankwand, hinter der sich neben leeren Regalen auch eine komplett eingerichtete Minibar samt ferngesteuerter Espressomaschine befand. Während sie eine Tasse herausholte, sah sie Sam auffordernd an.
»Wie lange war die Stelle denn unbesetzt?«
»Ziemlich lange. Genau kann ich das nicht sagen. Carl Weller setzt hohe Erwartungen in seine engsten Mitarbeiter. Ich zum Beispiel bin mit der gesamten Nordamerika-Koordination befasst.«
»Und was koordinieren Sie da so?«
»Die gesamte Logistik unserer Exportrouten.«
»Export?« Anna legte Würfelzucker auf die Untertasse und balancierte sie hinüber zu Sam. Der warf den Zucker in seinen Espresso, rührte um und leckte derart bedeutungsvoll seinen Löffelab, dass Anna um ein Haar in lautes Lachen ausgebrochen wäre. Wenn Sam die Frauen genauso abschleckte wie Löffel, dann Gute Nacht.
»Öl?«, fragte sie nach.
Aber Sam fühlte sich durch ihre Fragen mittlerweile so wichtig, dass er offenbar beschlossen hatte, den Geheimnisträger zu spielen.
»Unter anderem«, antwortete er. »Welchen Schlüssel haben Sie?«
»Schlüssel?«
Verwirrt tastete Anna nach ihrem Hausausweis. Doch Sam hatte etwas anderes gemeint. Gönnerhaft schüttelte er den Kopf.
»Der Vertrauensschlüssel. Er beginnt bei vierundsechzig und endet bei eins. Ich habe sechzehn. Und Sie?«
Anna tippte auf die Stelle ihrer Schreibtischplatte, die das Eiswasser kontrollierte. Gab es eigentlich auch eine Methode, es
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