Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
erwehren, in Wirklichkeit nackt zu sein. Sobald Shananara sich umwandte, klatschte sie entzückt in die Hände.
»Jetzt siehst du wie eine wahre harshinische Drachenreiterin aus«, rief sie. »Lässt man einmal deine Augen beiseite, ist es schwerlich zu fassen, dass in dir überhaupt irgendwelches Menschenblut fließt.«
»Mir fällt es schwerer zu glauben«, hielt R'shiel ihr entgegen, indem sie eine trübselige Miene schnitt, »dass ich Harshini-Blut haben soll.«
»Deine Mutter hat dich nie in irgendetwas Nützliches eingeweiht, oder? Wer dein Vater war, zum Beispiel? Wie sie ihm begegnete? Warum er sie verließ? Ob er je von deiner Geburt erfahren hat?«
»Meine Mutter ... Meine wirkliche Mutter ist bei meiner Geburt verstorben.«
»Das tut mir überaus Leid, R'shiel, davon hatte ich keine Kenntnis. So hat denn deine Sippe dich aufgezogen? Vielleicht eine Tante oder ein Onkel?«
R'shiel überlegte, wie viel über ihre Vergangenheit sie ihr erzählen sollte. Diese Frau war auf einem Drachen durch die Lüfte geflogen. Sie gehörte einem Volksstamm an, dessen völlige Ausrottung sich die Schwesternschaft auf die Fahnen geschrieben hatte. R'shiel blieb sich unsicher, wie Shananara es wohl aufnehmen mochte, wenn sie hörte, dass sie das Pflegekind der Ersten Schwester gewesen war.
»Jemand hatte mich aufgenommen«, gab sie ausweichend zur Antwort.
»Jemand in der Zitadelle?«, fragte Shananara, während sie von einem Wandbrett neben der Tür zwei Becher und einen Weinschlauch holte. »Zermürbe dir nicht das Gemüt, R'shiel. Dranymir und seine Dämonenbrüder haben, seit du zur Reife gelangt bist, deine Gegenwart immerzu gespürt, und zwar durch den Connex, das geistige Band, das euch eint. Wir wissen, dass du in der Zitadelle gelebt hast. Dafür brauchst du dich nicht zu schämen.« Sie bot R'shiel einen Becher Wein an. Das köstliche Getränk gluckerte R'shiels Kehle hinab und erwärmte ihr Inneres.
»Es beschämt mich nicht, in der Zitadelle herangewachsen zu sein.«
»Du hättest Schwester des Schwertes werden können. Das wäre nun wirklich zu köstlich gewesen.« Anscheinend bereitete diese Vorstellung Shananara beträchtliche Heiterkeit.
»Wie kannst du es wagen, dich über mich lustig zu machen? Du weißt über mich nicht das Geringste. Du weißt nicht, wer ich bin, du hast keine Ahnung, was ich denke, was ich empfinde, was ich durchzustehen hatte. Eigentlich darf es dich gar nicht einmal geben.«
»Oho, was denn, was denn, ich bin durchaus handfeste Wirklichkeit, R'shiel. Und was die Frage anbetrifft, wer du bist und was du empfindest, so gestatte mir, eine allgemeine Vermutung anzustellen. Wahrscheinlich warst du früher ein vollauf herkömmliches Menschenmädchen, und zwar bis vor ... Na, vor ungefähr zwei Jahren? Etwas aufgeweckter als deine Freundinnen, mag sein, schneller im Lernen, rascher im Begreifen? Nie bist du krank gewesen. Du hast wahrlich nie sonderliche Umstände mit irgendetwas gehabt. Aber dann hat dich eines Tages, aus heiterem Himmel, der Anblick von Fleisch angeekelt. Und Kopfweh trat auf, ganz grässliche Kopfschmerzen suchten dich heim. So erging es dir monatelang, bis du schließlich nicht einmal mehr den Geruch von Fleisch ertragen konntest und der Kopfschmerz dich dermaßen marterte, dass du morgens kaum noch die Augen aufschlagen konntest. Sage ich bislang Wahres?«
»All das hat dir Tarja erzählt.«
Shananara schüttelte den Schopf. »Keineswegs, wie dir sehr wohl klar ist. Willst du noch mehr hören?« R'shiel schaute zur Seite, und Shananara sprach weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. »Endlich kam, Jahre nach dem ersten Mal deiner Freundinnen, auch deine Regel. Von da an blieben die Kopfschmerzen aus, und Fleischgeruch widerte dich nicht mehr bis schier zum Erbrechen an. Dafür allerdings widerfuhren dir andere Sonderbarkeiten, hab ich Recht? Deine Haut nahm eine goldbraune Färbung an und behielt sie sogar mitten im Winter, als hättest du Sonnenschein genießen können. Bisweilen hast du rings um andere Leute Aureolen gesehen. Du hattest seltsame Anwandlungen, so als riefe irgendwer dich aus weiter Ferne, und die Ursache blieb dir unersichtlich. Irgendwann wurde dieses Gefühl so alltäglich, dass du es nicht mehr bemerkt, nicht mehr beachtet hast. Bis heute. Bis du Dranymir und seinen Dämonenbrüdern begegnet bist.«
R'shiel spürte Tränen in den Augen, denn Shananara schilderte ihr Leben so genau, dass die Erinnerung sie schmerzte. Unmöglich konnte die
Weitere Kostenlose Bücher