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Daemonenmal

Daemonenmal

Titel: Daemonenmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilith Saintcrow
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selbst.
    „Schwachsinn“, flüsterte ich. Aber er hatte recht. Er hatte mich aus dem Schnee gefischt – ein geschundenes und geprügeltes Mädchen, das selbst in diesem Zustand noch immer mit allerletzter Kraft kämpfte und sich zur Wehr setzte. Er hatte mir Essen und ein Dach über dem Kopf gegeben und hätte mich anschließend dem Sozialamt übergeben, damit sie mich in eine Therapie stecken und wieder auf Vordermann bringen konnten. Das hatte er tatsächlich ein paar Mal versucht. Aber ich wollte bei ihm bleiben, hatte trotzig auf seinem Fußboden geschlafen und ihn auf Schritt und Tritt verfolgt, während er seinen täglichen Geschäften nachging-bis er mich akzeptierte. Es war keine Verpflichtung gewesen. Jäger sind niemals irgendwie verpflichtet. Wir können alles jederzeit hinschmeißen und unserer Wege gehen, wenn wir wollen. Und niemand, nicht einmal die Kirche, macht uns Vorwürfe, wenn wir es tun.
    Klar kannst du alles hinter dir lassen. Jetzt, wo du weißt, was da draußen in der Nacht auf die Unschuldigen lauert, kannst du locker den Schwanz einziehen und in den Sonnenuntergang reiten. Du kannst in eine andere Stadt ziehen und Spitzendeckchen häkeln oder mit Blackjack dein Geld verdienen.
    Aber sicher doch.
    Er hatte mich gerettet, weil ich es zugelassen hatte. Weil ich nicht dort im Schnee hatte sterben wollen. Ich wollte leben.
    Hatte ich ihn deshalb getötet? War ich absichtlich zu spät gekommen?
    Stocksteif saß ich auf meiner Bank, die Hände an die Lehne vor mir geklammert, sodass meine Knöchel sich weiß abzeichneten. Noch einmal hob ich den Blick zum Kruzifix empor. Die leichte Bewegung ließ meine Talismane klimpern. Die Narbe stach mir ins Fleisch und grummelte missbilligend.
    Ich betrachtete die langen gefühllosen Beine, den Lendenschurz und die verwundete Brust, dann die Kehle und schließlich den Streifen des verträumt dreinblickenden Gesichtes, das unter der mächtigen Dornenkrone und dem lockigen Haar aus Hol/ hervorlugte. Die erschlafften Lider gaben kein Funkeln preis, das auf meinen Blick geantwortet hätte. Er schlief. „Ich tue das nicht für dich“, wisperte ich. „Habe ich noch nie. Ist das eine Sünde?“
    Oder ist meine eigentliche Sünde Habsucht? Ich wollte etwas um meinetwillen. Schon immer.
    Wieder fühlte ich Sauls Lippen auf den meinen. Sein Geruch haftete noch immer an mir, ein bisschen zumindest. Wenn er in sein altes Leben zurückgekehrt war, würde ich die Bettlaken so lange nicht waschen, wie ich es aushielt. Ich würde diesen Geruch jedes Mal tief in mich aufsaugen, wenn ich ihn brauchte, bis er vergangen sein würde, wie alles vergeht – vor allem alles Gute.
    Es gab auf der Welt so wenig völlig Gutes. Das Laster verdarb alles und jeden. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis ich keinen Anspruch mehr auf meine eigene Seele hatte?
    Hatte ich vielleicht eben den gleichen Fehler gemacht wie auch Michail, der einer Frau vertraut hatte, die nicht ganz Mensch, sondern von Höllenbrut verdorben war? Bedeutete das, dass jeder, der mir vertraute, den gleichen Fehler machte?
    Habe ich dich umgebracht, Michail? Ich wünschte, du könntest es mir sagen. Ich muss es einfach wissen.
    Ich lehnte mich vor und legte die schweißnasse Stirn in meine verkrampften Hände. Der Abend dämmerte, ich konnte es fühlen, wie eine Kompassnadel den Norden. Es donnerte, wahrscheinlich würde das Unwetter erst in der Nacht losbrechen und kalte Sturmböen vom Fluss übers Land peitschen. Irgendwo in der Stadt machten die Werwesen Jagd auf einen Entarteten, und sie würden gnädig sein, wenn sie ihn hatten. Er würde nicht leiden.
    Aber mir stand ein Rachefeldzug bevor. Ob Cenci mein Angebot annahm oder nicht, es würde in jedem Fall hässlich werden – voller Wut, Hass, Blutvergießen und Geschrei.
    Schließlich war das meine Lebensaufgabe, oder nicht?
    Jetzt hör aber auf. Michail ist tot, egal, ob es deine Absicht war oder nicht. Und du hast einen Job zu erledigen. Du kannst dich glücklich schätzen, dass es Saul gibt – irgendwo da draußen. Dass er überhaupt existiert. Hör mit dein Jammern auf und zieh die Sache durch. Heute Nacht hast du deinen großen Auftritt, du willst doch nicht zu spät kommen.
    Na ja, es hätte mir nichts ausgemacht, wenigstens ein bisschen später zu kommen. Aber ich stand auf und tat etwas, das ich zuletzt als Teenager getan hatte.
    Ich trat langsam an den Altar und kletterte die Stufen hinauf, bis ich an der Bank mit den Kerzen und den Blumen

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