Daemonenmal
verspreche ich ihr Rache an ihrem Vater – und einen sauberen Tod, so schmerzlos wie möglich.“ Ich stockte, drehte mich um und sah Galina an der Schwelle ihrer Falltür stehen. Ihre grünen Augen waren erfüllt von Trauer, voller Verständnis – und ich war mir ziemlich sicher, dass meine eigene Miene das widerspiegelte.
Galina trug ihre Bewahrerkluft aus grauer Seide. Die weite Kapuze lag auf ihrem Rücken, die purpurnen Untergewänder leuchteten gespenstisch. Ihre Halskette – der vierteilige Kreis mit der sich windenden Schlange – verströmte helle, schroffe Funken. „Ich werde es ausrichten. Jetzt geh.“ Sie hielt eine Pistole in der Hand, die schlaff an ihrer Seite herabbaumelte. Meinetwegen oder wegen der schlecht gelaunten Höllenbrut ein Stockwerk tiefer? Beinahe bildete ich mir ein, Cencis Atem in der stickigen Stille zu fühlen.
Lauernd wie eine blinde, bleiche Natter unter einem Stein. Versteckten wir uns etwa beide unter demselben Fels?
Nein. Ich bin keine Höllenbrut. Ich tastete mich Schritt für Schritt zur Tür. „Nichts für ungut, Galina.“ Immerhin war sie eine Bewahrerin. Sie hatte keine Wahl.
Ebenso wenig wie ich eine Wahl hatte.
„Das gilt auch für mich, Jill. Ich halte sie in Schach, bis du weg bist. Pass auf dich auf da draußen.“
Endlich sagte ich es. „Das sagst du so einfach. Davon ist in meiner verfluchten Stellenbeschreibung nicht die Rede.“ Ich schob mich durch die Tür und schloss sie hinter mir. Das Sonnenschwert auf meinem Rücken sirrte. Ich nahm Anlauf, sprang vom Dach, landete unten auf der Straße und versorgte mich durch das Mal mit Energie. Dann fing ich an zu rennen.
Die Stadt lag unter einem gelbgrünen Wolkendach, es war wie in einem stickigen Treibhaus. Draußen in der Wüste gab es mit Sicherheit schon das erste Wetterleuchten, und die Tiere würden bereits Schutz suchen. Hier im Tal, in meiner Stadt, war ebenfalls jeder auf den Beinen, um rechtzeitig irgendwo unterzukommen. Selbst die Menschen konnten spüren, dass sich etwas zusammenbraute.
Wie ein Raubtier, das auf einen Ahnungslosen lauerte. Kein Wunder, dass jeder Zuflucht suchte.
Viermal meldete sich mein Pager zu Wort. Harp wollte wissen, wo ich war. Ich reagierte nicht. Das Spiel war in vollem Gang, und die Figuren bewegten sich aufeinander zu. Man konnte nichts weiter tun, als das Ende abzuwarten. Ich musste meine eigenen Züge wagen.
Lange saß ich auf meinem Stammplatz in der Kirche der Heiligen Jungfrau und beobachtete die Kerzenflammen, die unter der spannungsgeladenen Luft erzitterten. Wenn Perry mir nachspionierte, hatte ich ihn von Galinas Haus weg- und hierhergelockt. Für gewöhnlich stattete ich der Kirche einen Besuch ab, bevor ich den Mut aufbrachte, ins Monde zu gehen und meinen monatlichen Tribut zu zollen. Mein Blick wanderte über das Kreuz, an dem Christus hing, mit erschlafften Gliedern und einem friedlichen Ausdruck im Gesicht. Eine stille, ästhetische Darstellung eines Todes, der den Gläubigen jahrhundertelang auf die schauerlichsten Arten vorgeführt wurde. Ich fragte mich, warum sie stattdessen nicht das Letzte Abendmahl ausgewählt hatten. Vielleicht wäre diese Religion etwas zivilisierter, wenn anstelle einer römischen Foltermethode das Bild eines Festmahls in den Kirchen hängen würde.
Aber ich machte mir nichts vor. Die Menschheit steht nicht auf sanftmütige Götter. Ich wünschte, Michail wäre noch am Leben. Genie hätte ich seine Meinung zu meinen Vorstößen in die Philosophie gehört. Wahrscheinlich hätte er einen praktischen Ratschlag parat gehabt, so was wie: „Alle Philosophien der Welt schaffen es nicht, eine Kugel abzufangen.“
Ach, Michail. Ich habe dich geliebt. Ich hab dich so geliebt.
Habe ich deinen Tod auf dem Gewissen? Selbst jetzt wusste ich es nicht.
Unterm Strich konnte man eines doch nicht bestreiten: Es gab Licht, und es gab Finsternis. Und es gab die, die im Licht standen und gegen die Dunkelheit kämpften. Manchmal waren wir dabei schlimmer als die Finsternis selbst. Es war eine gefährliche Gratwanderung. Und manchmal war es unmöglich, die Grenze nicht zu überschreiten – ob man nun darübergestoßen wurde oder es aus freiem Willen tat.
Sollten wir deshalb aufhören zu kämpfen? Welcher anständige Mensch könnte das schon, sogar wenn der Job selbst nicht anständig war?
Stell dich nicht dumm, Milaya. Das war Michails Stimme, ein tiefes, dunkles Schnurren. Ich zwinge dich zu gar nichts. Du zwingst dich
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