Daemonenmal
stand. Ein betörender Duft stieg von ihnen auf. Sie schmückten eine Fläche, die zu vorchristlichen Zeiten eine Opferstätte gewesen wäre – für ein schnelles, gütiges oder ein grausames Blutopfer.
Im Laufe der Zeit hat sich weit weniger verändert, als wir glauben.
Ich sah dem Mann am Kreuz ins hölzerne Gesicht. Auf dem geschnitzten Haarschopf saßen spitze Dornen, von denen dekorative Rinnsale aufgemalten Blutes troffen. In mir stieg ein mächtiger, lange unterdrückter Schrei auf, den ich abermals brutal zurückdrängte, bis er verstummte.
Was hatte ich einem Gott zu sagen, der nie mit mir geredet hatte, und einem Sohn, der schlief?
„Du gewährst Erlösung, stimmt’s?“ Mein Flüstern dröhnte durch die Stille, die sonst nur vom Zischen der Kerzen durchbrochen wurde. „Wenn du im Moment nicht zu beschäftigt bist, könnte ich eine Handvoll davon brauchen. Oder auch nur eine Prise.“
Ich bettelte noch immer. Wie das kleine Mädchen, das ich früher einmal gewesen war. Der Schwächling.
Man hatte mir ein besseres Gebet beigebracht, oder etwa nicht?
Oh Herr, mein Gott, steh mir hei im Angesicht der Legionen der Hölle. In Deinem Namen und mit Deinem Segen ziehe ich aus, die Nacht zu reinigen. Meine Lippen formten die Worte, und die Flammen verneigten sich. Die Narbe auf meinem Handgelenk grummelte unwohl – diese harte, infizierte Wulst unter meiner Haut.
Ich sperrte den Gedanken an Michail aus, ebenso wie den an Saul. Es kostete mich einige Anstrengung, jeder Muskel spannte sich. Als ich es geschafft hatte, atmete ich ein und sehr lange wieder aus.
Ich hörte, wie sich in meinem Kopf ein Schalter umlegte. Michail hatte ich nie von diesem Hebel tief in meinem Innern erzählt. Damit konnte ich abschalten, alles andere ausblenden, das nichts mit dem Job zu tun hatte, den es zu erledigen galt. Dieser glänzende Weg der Rache, der sich zu meinen Füßen erstreckte. Diese Straße mochte letztendlich an den geifernden Toren der Hölle enden, aber wenigstens würde ich zahlreiche Bestien mit mir nehmen, die sich an den Schwachen gütlich taten. Vielleicht würden ein paar Unschuldige länger leben, weil ich bereit war, mir die Finger dreckig zu machen.
Genug gejammert. Die Nacht konnte einen Reinigungsgang vertragen. Und ich war genau die Richtige, um das zu erledigen. Solange die Werwesen mir die Missgeburt vom Hals hielten. Und falls Cencis Durst nach Rache an ihrem Dämonen-Daddy größer war als ihr Verlangen, es mir heimzuzahlen. Und für den Fall, dass Perrys Interesse an mir ihn davon abhalten würde, sich einzumischen, und angenommen …
Es gab eine Menge unsicherer Faktoren in meiner Rechnung – und ich baute im großen Stil auf die Eifersucht von Höllenbrut. Außerdem rechnete ich damit, dass Navoshtay Niv Arkady getötet werden konnte, was nicht selbstverständlich war.
„Es gibt nur einen Weg, es rauszufinden.“ Meine Stimme hallte durch die abgeschiedene Ruhe der Kirche, das Sonnenschwert sang leise sein Lied. Der Rubin an meinem Hals war tröstlich warm. Ich hatte hier drin noch nie einen Priester gesehen, aber die Türen standen immer offen. Für beides war ich dankbar. Ich weiß nicht, ob ich meinen Sarkasmus im Zaum halten könnte, sollte ich einem begegnen. Es würde zu sehr wehtun, ihm mit Respekt zu begegnen. Außerdem hatte ich Unterwürfigkeit noch nie gut hinbekommen.
Ob das dem Mann am Kreuz etwas ausmachte? Vergab er mir, weil er wusste, dass ich nun mal so geschaffen war? Von derselben Hand, die auch ihn geschaffen hatte, die zugelassen hatte, dass er ans Kreuz genagelt wurde für Sünden, die er nicht begangen hatte? Sünden, für die er zwangsweise immer und immer wieder bezahlte?
War die Erinnerung für den Mann am Kreuz ebenfalls ein Fluch?
Jetzt hör schon auf Zeit zu vertrödeln, Kismet. Setz deinen Arsch in Bewegung!
Tat ich. Aber als ich diesmal die Kirche verließ, fühlte ich mich wirklich getröstet. Ich drückte die Türen auf und trat hinaus in die unheimliche Düsternis des frühen Abends. Sturmwolken verdunkelten den Himmel. Im Westen war ein blutroter Streifen zu sehen. Die Dämmerung brach an, die Sonne versank am Horizont, und die Nacht hielt ihren Einzug, um ihr Spiel zu beginnen.
28
Weder musste ich ins Monde laufen noch ein Taxi nehmen. Ich hatte die Kirche keine vier Blocks weit hinter mir gelassen, als eine geparkte tadellose schwarze Limousine anfuhr und auf mich zurollte.
Es war geradezu absurd banal.
Ich stieg ein, atmete ein
Weitere Kostenlose Bücher