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Daemonenmal

Daemonenmal

Titel: Daemonenmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilith Saintcrow
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und weiter zerfleischte, ließ mir so ziemlich alles Essbare hochkommen, woran ich im Leben auch nur je gedacht hatte. Ich kippte nach vorne und würgte so heftig, dass mir schwarze Punkte vor den Augen tanzten.
    Auch ein Jäger hat seine Grenzen, dachte ich verblüfft. Regentropfen groß wie Schnapsgläser sprenkelten den aufgebrochenen Asphalt. Die gesamte Straße war durchzogen von merkwürdig geschwungenen und schwelenden Rissen. War ich das gewesen oder die kämpfenden Dämonen? Die Straße war völlig ruiniert. Zwei Laternen und ein Telefonmast lagen am Boden, und eine Reihe von Gebäuden war zertrümmert. Weiter unten waren Lichter zu sehen, und ich hörte entferntes Sirenengeheul.
    Ich hab’s überlebt. Ich konnte es nicht fassen.
    Hände legten sich auf meine Schulter. „Es ist vorbei.“ Perry klang äußerst selbstzufrieden. „Siehst du, meine Liebste. War doch gar nicht so schlimm, oder? Bleibt nur noch eine kleine Sache, dann können wir heimgehen.“
    Meine Stirn hinterließ einen blutigen, rußverschmierten Abdruck auf seinem tadellosen Leinenanzug. Kein Härchen war verrutscht. Er hatte nicht einmal einen blauen Fleck oder eine Brandblase.
    Die Geräusche hinter mir verstummten. Zwischen den Regentropfen lag auf einmal Spannung in der Luft. Ich riss mich von Perry los, der seine Arme fallen ließ.
    Inmitten des Autowracks stand Cenci. Die Kanten des zerborstenen Stahls und gesplitterten Glases waren nun von Eis überzogen. Ich meinte, den Leichnam des Fahrers im Innern zu sehen, aber mein Blick wurde von Arkady magisch angezogen, der nun rasch zu Rinnsalen aus Fäulnis in sich zusammenfiel.
    Die Älteren verrotten schnell. Es war ein Trost, wenn ich daran dachte, dass Perry auch mal so enden würde. Tröstender, als mir lieb war.
    Navoshtay Siv Cenci sah mir in die Augen. In ihrem glühend roten Blick stand der blanke Wahnsinn. Aber abgesehen davon sah ich …
    Nein. Ich meinte zu sehen.
    Nein. Ich sah. Ich erkannte in ihren Augen Verständnis und verzehrende Trauer und endlosen Schmerz. Und ich ließ die Pistolen sinken.
    Die Qual, die in ihrem Blick loderte, war beinahe menschlich.
    „Töte sie“, raunte Perry verführerisch. Sein Atem berührte meine Wange, heiß und dampfig. „Töte sie jetzt, Jägerin. Sie hat Menschen ermordet.“
    Schwärze glänzte auf Cencis Kinn. Ihre Kleidung bestand nur noch aus rauchenden Lumpen, und ich wollte den Blick senken, sehen, ob ihr Bauch gewölbt war. Aber das war unwahrscheinlich. Ich dachte an die zähe, ölige Lache im Garten des Leichenschauhauses und daran, wie sie mit glutroten Augen in nächtlicher Finsternis niederkauerte, sich den Unterleib hielt. Wie sie sich auf die Lippe biss, um nicht zu schreien, während eins der dreckigen Experimente ihres Vaters aus ihrem Körper und in das sterbliche Gras glitt.
    Sie ist kein Mensch! Sie hat sie umgebracht! Töte sie! Töte! Mein Hirn kreischte mich an, aber meine Hände waren kalt und taub. Die Waffen baumelten nutzlos an meiner Seite.
    Nein. Kein Mensch. Die Leichensäcke voll mit den Überresten ihrer Opfer forderten Vergeltung. Das war meine Aufgabe, mein Job. Sie wie ein tollwütiges Tier zu erlegen, egal, welche Versprechungen ich gemacht hatte.
    Aber ich schoss nicht. Ich hielt ihrem Blick stand und dachte an Saul. Ich dachte an einen Entarteten, den ein Schutzzauber versteckt hielt, und an die Spur, die immer wieder verschwand.
    Weil sie dieses Werwesen beschützt hatte, dessen Namen ich jetzt kannte. Billy Ironwater.
    Meine Muskeln zuckten, waren von den beiden Trieben hin- und hergerissen: dem Drang, zu töten, meinen Job zu erledigen und Rache für ihre Opfer zu üben – und andererseits die kleine, unnachgiebige Stimme meines Gewissens, die versuchte, sich durch die Suppe von Wut und Zerstörung Gehör zu verschaffen. Versuchte, mir den richtigen Weg zu weisen.
    Ich zögerte im letzten Augenblick. Warum erledigte ich sie nicht? Was war richtig, was falsch?
    Und war mir das überhaupt wichtig?
    Dann machte Perry einen Fehler. Den Fehler, der das letzte Puzzleteil an seinen Platz setzte.
    „Tu gefälligst, was ich dir sage!“, zischte er, bebend vor Zorn und Ungeduld. „Töte sie, du dumme Schlampe!“
    Mit einem Mal kam ich zu mir. Jede Unsicherheit verschwand, die Stimme meines Gewissens war laut und deutlich wie eine Trompete. Ich wusste, was ich zu tun hatte und was Perry von mir verlangte, und stellte erleichtert fest, dass ich noch immer frei wählen konnte.
    Nein. Meine Lippen

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