Dämonisches Tattoo
Gesicht, bei dessen Anblick ihn eine Welle der Wärme und Zärtlichkeit erfasste. Die Frau war ihm so vertraut wie sein eigenes Spiegelbild. Er brauchte sie nur anzusehen, um zu wissen, dass er niemals die Hand gegen sie erheben würde. Nie.
Er wollte kehrtmachen, doch er konnte sich nicht bewegen. Erst als ihm die Stimme befahl, sich zurückzuziehen, schob er das Messer in seinen Ärmel und verließ das Schlafzimmer so leise, wie er gekommen war.
*
Kate erwachte, als sie draußen ein Geräusch hörte.
Obwohl sie übereingekommen waren, weiter zusammenzuarbeiten, saß tief in ihr noch immer die Furcht, dass er erneut eine Dummheit begehen könnte. Es war Unsinn, das zu glauben, denn sie vertraute Chase. Er hatte sie aus diesen unglaublichen Augen heraus angesehen – Augen, so grün wie Moos, bei deren Anblick sie immer öfter das Gefühl hatte, darin zu versinken – und ihr sein Wort gegeben. Trotzdem war da eine Unruhe in ihr, die sie nicht loslassen wollte.
Sie schlug die Decke zurück, stand auf und zog ihre Trainingshose und das Baumwollshirt zurecht, ehe sie das Schlafzimmer verließ. Im Wohnzimmer war es dunkel, trotzdem sah sie sofort, dass die Couch leer war.
Ihr Blick schoss durch den Raum, auf der Suche nach Chase. Sie hoffte darauf, ihn in der Küche zu entdecken. Vielleicht hatte er Durst bekommen und war noch einmal aufgestanden, doch die Küchenzeile war ebenso verlassen wie sein Schlafplatz. Dann entdeckte sie ihn auf dem Weg zur Haustür. Abgesehen von Socken und Schuhen war er vollständig angezogen.
»Chase?«
Ohne sich nach ihr umzusehen, ging er weiter. Also doch! Er hatte schon wieder irgendetwas vor, in das sie nicht eingeweiht war.
»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dich einfach gehen lasse!« Als er noch immer nicht reagierte, lief sie zu ihm. Kurz vor der Tür holte sie ihn ein, schob sich an ihm vorbei und baute sich zwischen ihm und der Tür auf. Mit einer Hand tastete sie nach dem Lichtschalter. Als das Licht über ihn hinwegflutete und sein Gesicht der Dunkelheit entriss, schnappte Kate nach Luft. Seine Augen waren glasig, sein Blick abwesend. Sie stand unmittelbar vor ihm, doch er schien geradewegs durch sie hindurchzusehen. Ein Schlafwandler! Die Erkenntnis erleichterte sie. Alles war besser, als erkennen zu müssen, dass er noch weitere Geheimnisse vor ihr hatte.
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm, um ihn zu schütteln – und hielt mitten in der Bewegung inne. Vorsichtig zog sie die Hand zurück. Sie hatte einmal gehört, dass es gefährlich sein konnte, einen Schlafwandler zu wecken. Manchmal taten sie in der Verwirrung des Aufwachens gefährliche Dinge, schlugen um sich oder griffen jene an, die sie aus dem Schlaf gerissen hatten. Kate wollte weder selbst etwas abbekommen noch wollte sie, dass er sich versehentlich verletzte.
Aber womöglich konnte sie etwas tun, ohne ihn zu wecken. Sie nahm ihn am Arm und versuchte ihn mit sanftem Druck dazu zu bewegen, sich umzudrehen, in der Hoffnung, dass er zur Couch zurückgehen und sich wieder hinlegen würde. Doch er schob sie einfach zur Seite, öffnete die Tür und ging nach draußen.
Kate zischte einen Fluch, lief ins Schlafzimmer und schlüpfte in ihre Sneakers. Als sie aus der Tür lief, hatte er den Vorgarten bereits verlassen. Sie folgte dem kurzen Weg zum Bürgersteig und sah sich um.
Verflucht, wo steckte er?
Es dauerte einen Moment, ehe sie einen dunklen Umriss ausmachte, der in einiger Entfernung um eine Ecke bog. Waren seine Bewegungen im Haus noch langsam und bedächtig gewesen, so bewegte er sich nun schnell und mit der Präzision eines Mannes, dem die Dunkelheit nichts ausmachte. Kate lief los. Der Regen schlug ihr ins Gesicht und durchnässte sie binnen kürzester Zeit bis auf die Haut. In den Pfützen spiegelte sich das Licht der Straßenlaternen wider und verwandelte sie in silbern schimmernde Tümpel, deren Oberfläche sich unter den aufschlagenden Regentropfen kräuselte. Die Straßen waren verlassen – fast drei Uhr morgens, wie ihr ein schneller Blick auf ihre Armbanduhr verriet.
Als sie an die kleine Kreuzung kam, an der er abgebogen war, hatte sich der Abstand zwar verkleinert, trotzdem war er ihr noch immer ein gutes Stück voraus.
Obwohl er nicht rannte, hatte sie Mühe, zu ihm aufzuschließen. Seine Bewegungen waren so effizient und zielgerichtet, als wisse er genau, wohin er ging. Sein Vorsprung schrumpfte weiter, dennoch trennten sie noch beinahe fünfzig Meter von ihm. Kate war
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