Dämonisches Tattoo
als würde er durch die Augen eines Fremden blicken.
»Was hat das zu bedeuten?« Obwohl sich die Lippen nicht bewegten, waren seine Worte laut und deutlich zu hören.
Die Hand mit dem Rasiermesser zuckte zurück, die Klinge grub sich ins Kinn und hinterließ einen blutigen Kratzer.
»Was ist das für eine Scheiße?«, dröhnte eine zornige Stimme durch den Raum, die Stimme des Mannes, dessen Züge sich in den Scherben des Spiegels mit Chase’ eigenen vermischten.
Der Rasierschaum brannte in der winzigen Wunde. Chase blinzelte, und als er den Blick erneut auf den Spiegel richtete, war der verschwunden. Er stand vor der Wanne, die Finger seiner linken Hand auf dem Pflaster in seinem Nacken liegend. Die blauen Fliesen waren fort, zurück war nur das abgenutzte Motelbad geblieben. Jetzt konnte er sich auch wieder bewegen. Er ging zum Spiegel, dessen Oberfläche vollkommen unversehrt war, blickte hinein und sah sich selbst klar und deutlich. Das Rasiermesser war weg, ebenso wie der Schaum an seinem Kinn, trotzdem blutete er an der Stelle, an der er sich geschnitten hatte.
»Ist da jemand?«, rief er in den Raum hinein, obwohl er ihn bis in den letzten Winkel einsehen konnte.
»Ist alles in Ordnung?«, erklang Kates Stimme von der anderen Seite der Tür.
»Ja sicher. Ich dachte nur, ich hätte jemanden gehört. Sind Sie allein?«
»Nur ich und mein Laptop.«
»Gut.« Er drehte die Dusche an, um ihr zu signalisieren, dass das Gespräch beendet war, doch statt sich unter den dampfenden Strahl zu stellen, setzte er sich auf den Wannenrand und starrte auf den Spiegel.
Er war an einem anderen Ort gewesen, in einem anderen Körper. Anders konnte er sich nicht erklären, was passiert war. Der zerbrochene Spiegel passte zu dem Traum, den er vergangene Nacht gehabt hatte.
Du bist jetzt nicht mehr allein.
Mit diesen Worten und dem Anblick von Scherben war er aufgewacht.
Heilige Scheiße, kann das wirklich wahr sein?
Konnte es möglich sein, dass diese Verbindung tatsächlich existierte, von der der Indianer gesprochen hatte? War er im Kopf des Killers gewesen und hatte durch dessen Augen geblickt?
Nein, unmöglich! Es musste an den Drogen liegen, dass er diese Dinge sah. Doch noch während er versuchte sich das einzureden, wurde ihm bewusst, dass es nicht zutraf. Letzte Nacht mochte sein Verstand noch umwölkt gewesen sein, jetzt jedoch war er vollkommen klar im Kopf.
Er hatte soeben in die Überreste des Spiegels geblickt, der letzte Nacht in seinem Traum zerbrochen war.
Das war kein Traum.
Er stellte die Dusche ab und stürmte aus dem Bad zurück ins Zimmer, wo Kate über ihrem Laptop saß. Als sie ihn bemerkte, sah sie auf.
»Das Internet spuckt keine Adresse von diesem Mr Quinn aus«, sagte sie über den Bildschirm hinweg. »Wir werden wohl ins Reservat fahren und uns nach ihm durchfragen müssen.«
Chase schüttelte den Kopf. »Meine Pläne haben sich geändert. Ich muss nach D. C.«
»Was? Warum?«
»Es funktioniert«, platzte er heraus. »Diese Scheißverbindung funktioniert!«
Er hatte die Stimme eines Mannes gehört, womöglich die Stimme des Killers, sie hatte verzerrt und dumpf geklungen, dennoch war die Überraschung nicht zu überhören gewesen. Der Kerl hatte es ebenfalls gespürt – und er hatte Chase gehört und sich dabei so erschrocken, dass er sich geschnitten hatte. Ein winziger Schnitt, der auch Chase’ Kinn zeichnete.
In Kates Zügen spiegelte sich eine Mischung aus Verwirrung und Zweifel wider.
»Ich habe durch seine Augen gesehen«, versuchte er zu erklären, was er selbst kaum verstand. »Durch die Augen des Mörders!«
Wenn ein Teil der Verbindung den Tod findet, stirbt auch der andere.
Das waren Franks Worte gewesen.
»Ich muss ihn finden, bevor Frank es tut.«
»Aber …«
»Wenn Frank ihn findet, wird er ihn umbringen, und wenn sein Leben wirklich mit meinem verbunden ist … Ich habe keine Lust, abzuwarten und zu sehen, ob es nun stimmt oder nicht.«
»Sie glauben daran?« Sie schüttelte den Kopf. »Letzte Nacht waren Sie noch davon überzeugt, dass es nichts als abergläubische Spinnerei ist, und plötzlich wollen Sie sich darauf einlassen?«
»Der Kerl, durch dessen Augen ich gesehen habe, hat sich beim Rasieren geschnitten. Sehen Sie sich das an!« Er neigte den Kopf zur Seite, damit sie den winzigen Schnitt sehen konnte. »Ich hatte kein Messer in der Hand und es war auch sonst nichts in der Nähe, mit dem ich das hätte machen können. Ich habe durch seine Augen
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