Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
Ober, wir hätt’n noch ’ne Eisbestellung«, berlinert der Mann in den leeren Raum hinein.
Helmut würde am liebsten zu ihnen aufs sichere Festland flüchten, aber Thomas bleibt hart. Wenn schon, denn schon. Ein Drehrestaurant ohne Drehwurm ist wie ein Kabarett-Text ohne Pointe.
Ein Fenster mit Drehwurm
Eine halbe Stunde später – es ist inzwischen drei Uhr Nachmittag – haben wir unsere Steinwaldschnitzel mit Bratkartoffeln schon gegessen und warten auf den Nachtisch, als eine ganze Omnibusladung alter Frauen mit ondulierten Kurzhaarfrisuren ins Lokal einfällt und vor dem Schlitz, der den Übergang zur Drehscheibe markiert, erst einmal stehen bleibt. Die Damen sind unschlüssig, ob sie das große Abenteuer nun wagen sollen. »Mehr Mumien als im Tal der Könige«, flüstern wir uns zu, während wir im Schneckentempo an ihnen vorbeigefahren werden.
Als wir das nächste Mal die Einstiegstelle passieren, sind sie bereits mit uns auf der Scheibe, erste Obsttortenstücke werden serviert, rehbrauner Filterkaffee fließt aus bauchigen, weißen Porzellankännchen in ebensolche Tassen. Der Reiseleiter, ein braun gebrannter Westentaschen-Luis-Trenker, hat ein Akkordeon ausgepackt und hängt sich mächtig rein beim Spielen. Tulpen aus Amsterdam für die Damen aus der Oberpfalz, präsentiert mit vollem Einsatz von Mann und Instrument. So mondän kann ein VdK-Ausflug sein.
Als der Sozialverbandsvirtuose eine Pause einlegt und sich für ein paar Minuten seinem Kuchen widmet, stiert Helmut in den zerschmelzenden »Eistraum« auf seinem Teller und wagt nicht mehr aufzuschauen. Ein Bus voller Rentnerinnen ist gleichbedeutend mit einer Busladung Groupies von Stars des Bayerischen Fernsehens. Es kann nur noch Minuten dauern, bis eines der Silberlöckchen ihn erspäht hat und laut ins Lokal hineinposaunt: »Da sitzt er, der Heinzi« – sie meint den von Helmut gespielten Getränkefachhändler Heinzi Liebl aus der BR-Sitcom Spezlwirtschaft –, oder dieselbe Erkenntnis ihrer Sitznachbarin aufgeregt ins Ohr flüstert.
Die zweite Version ist nur scheinbar harmloser, denn wenn sich so eine Sensation per Flüsterpost blitzschnell im Raum verbreitet, erzeugt sie einen Gewittersturm von heimlichen Blicken und halblauten Ausrufen, die von »Wo sitzt er?« über »Den mog i ned!« bis »Des is ned der Schleich, des is der andere, der… Giebel!« so gut wie alles beinhalten können.
Aber wir wollten ohnehin zahlen, wir müssen weiter, zurück nach Windischeschenbach für eine zweite Vorstellung. Und wenn wir am nächsten Vormittag wieder nach München fahren, werden wir es mit einer gewissen Wehmut tun, weil wir mit der Oberpfalz unsere ganz persönliche Zeitmaschine verlassen, die uns in ein Bayern zurückreisen lässt, das es im Post-Stoiber’schen Event- und Schnöselfreistaat, zumindest in unserer näheren Heimat, so nicht mehr gibt.
Franken: Das Tibet Bayerns?
Wenn Bayern eine Landschaft formen … Das neue Fränkische Seenland
Drei Tretboote namens »Melanie«, »Dina« und »Vanessa« dümpeln an einem kleinen Steg. Hinter dem Steg ein Schild: »Betreten verboten«, hinter dem Schild ein künstlich aufgeschütteter, vollkommen menschenleerer Sandstrand, und hinter dem Sandstrand wiederum ein Dorf mit schlanken Dachgiebeln und mattgrün schimmernder Kirchturmspitze. Von einer blassgelb gestrichenen Hauswand leuchtet ein rotes Sparkassen-»S« herüber. Würde nicht unterhalb des Dorfes ein Rennradfahrer in papageienbuntem Trikot an frisch gepflanzten Jungbäumen vorbeistrampeln, könnte man fast meinen, eine Neutronenbombe hätte hier sämtliches menschliches Leben ausgelöscht. Keine plantschenden Kinder, keine Schwimmer, keine Segler oder Paddelbootfahrer, nur ein paar schwimmende Inseln aus leuchtend grünen Algen um einen verlassen daliegenden Badeponton. Über die glatte Wasserfläche des Großen Brombachsees schiebt sich ein plumpes Passagierschiff, das aussieht wie eine maritime Schimäre, halb Taschenkrebs, halb Parkhaus , auf eine menschenleere Anlegestelle zu. Auf dem obersten Deck stehen in großen Kübeln zwei ebenso grotesk wie verloren wirkende Topfpalmen, am Heck hängt eine Deutschlandfahne schlaff herab.
Tretboot-Idylle
Vor dem schreiend orangefarbenen Hinweisschild eines Seeufer-Restaurants – vom 1. April bis zum 31. Oktober durchgehend warme Küche! – stehen die mit schweren Packtaschen beladenen E-Bikes eines ältlichen Ehepaars, das über halb leer getrunkenen Gläsern mit Apfelschorle vor
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