Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
setze ich gleich an den guten sonnigen Platz rechts vom Eingang. Die ersten Blätter strecken ihre Arme aus dem erstarrten Winterholz, als würden die Blumen beim Aufwachen gähnen.
Die Damaszener Rose, die Mutter aller europäischen Rosen, kam mit den Kreuzfahrern nach Europa und brachte hier unzählige farbenprächtige und wohlriechende Enkel hervor, die die Ahnherrin nicht selten an Duft und Anmut übertrafen.
Wenn ich diese Rose sehe, die einst in die Ferne ging, um sowohl sich als auch die Fremde zu bereichern, denke ich daran, wie wenig begründet auch meine Ängste vor der Fremde waren. Ich war ein glücklicher Junge in meiner Heimatstadt Damaskus und halte sie noch heute für die schönste Stadt der Welt. Damals dachte ich, ich könnte nicht zwei Wochen in der Fremde überleben. Und heute? Ich bin seit zweiunddreißig Jahren hier.
Ich denke beim Anblick einer roten Rose an erster Stelle an Onkel Salim, den weltweit berühmtesten Kutscher.
Eines Tages verriet er mir, warum er weder Schafs- noch Kuhmilch, sondern ausschließlich Ziegenmilch trinkt.
»Schafe sind gehorsam«, sagte er. »Und Kühe sind gleichgültig«, fügte er hinzu und erklärte mir, wie die Milch den Charakter ihrer Trinker verändert. Schafe halten ihre Köpfeimmer tief und nehmen bescheiden nur das, was man ihnen erlaubt. Salim trinkt jedoch Ziegenmilch, weil diese Teufelstöchter aufmüpfig sind und immer das nehmen, was sie wollen. Nicht selten stehen sie sogar senkrecht auf den Hinterbeinen und fressen die Rosen der Gärten und Hecken, an denen sie vorübergehen. »Die Milch dieser Ziegen schmeckt nicht nur nach Rosenblättern, sondern sie macht auch mutig.«
Zwei, drei Schritte weiter pflanze ich für euch einen jungen Mandelbaum. Mandelbäume bekommen als Erste Blüten und geben erst spät im Herbst, fast als Letzte, die Früchte.
Für meinen Vater war der Mandelbaum ein negatives Sinnbild der Jugend, da er zu früh aufblüht, viel verspricht und dann zu spät Früchte trägt.
»Aber was für Früchte!«, hielt meine Mutter dagegen, die den Mandelbaum liebte.
Mein Vater hatte keine Jugend. Zu seiner Zeit war man entweder Kind oder Erwachsener. Mit siebzehn war er bereits verheiratet und musste eine Familie ernähren.
Als ich ihm eines Tages feierlich eröffnete, ich sei nach den Worten meines Lehrers der geborene Erzähler, lächelte er abweisend. »Erlerne erst einmal einen anständigen Beruf«, sagte er. Mein Vater las gerne und viel. Er verehrte aber nur die alten arabischen Philosophen und Lyriker, und natürlich die Bibel. Mit einem »anständigen Beruf« meinte er solide Finanzen. Er kam wieder auf den Mandelbaum zu sprechen.
Es war Anfang März, ein sonniger, aber sehr kalter Nachmittag. Als mein Vater ins Café ging, um sich mit seinen Freunden zu treffen, sagte meine Mutter zu mir: »Komm, ich möchte dir unbedingt etwas zeigen.«
Sie nahm mich mit in einen nahen Garten, der uns in seiner ganzen Blütenpracht empfing.
»Das sind die Mandelbäume«, sagte sie.
Ich beschloss an diesem Tag, Schriftsteller zu werden. Ich kehrte zurück und schrieb mein erstes langes Gedicht. Heute weiß ich, dass es kitschig, sentimental und dilettantisch war, aber ich behalte es gerne. Es riecht nach Mandeln.
Nicht weit vom Mandelbaum entfernt, setze ich einige rote und weiße Nelken für euch. Nelken gelten seit Mitte der siebziger Jahre als Symbol einer friedlichen Rebellion gegen die Diktatur. Die portugiesischen Soldaten und jungen Offiziere stürzten 1974 die brutale Diktatur, die schon seit über vierzig Jahren in ihrem Land andauerte, ohne einen einzige Schuss abzugeben, anschließend steckten sie Nelken in den Lauf der Gewehre. Das Bild ging um die Welt.
Bei Nelken denke ich immer an unsere Nachbarin Nadime, die Hebamme. Sie blieb bis zu ihrem Tod jung. Noch mit zweiundachtzig war sie neugierig, voller Anteilnahme, und sie liebte das Abenteuer … und die Nelken.
Mit dreizehn wagte ich es, ihr von meiner flammenden Liebe zu einer Freundin zu erzählen, und ich erwartete Tadel, denn ich bin Christ, und meine Angebetete von damals war Muslimin. Solch eine Liebe war, und ist es heute noch, von Staat und Gesellschaft strengstens verboten. Es kann das Leben kosten.
Als ich Nadime mein Geheimnis anvertraute, atmete sie erleichtert auf. »Die ganze Zeit«, sagte sie, » habe ich mir Gedanken darüber gemacht, warum du dich noch nicht verliebt hast.«
Nadime pfiff auf das Verbot. »Liebe«, sagte sie, »fragt nie nach
Weitere Kostenlose Bücher