Damian
Cunningham, der sich in einen der Sessel gesetzt hat und ihr aufmerksam zuhört. Sie blickt erneut auf das Glas in ihren Händen.
„In der Zeit, in der meine Mom in der Klinik war, lebte ich allein in unserem Haus und hatte endlich Zeit mich ausgiebig um meine Ausbildung zu kümmern. Als Mom wieder kam, schloss sie sich einer Sekte oder so etwas an. Esoterik war plötzlich das, in dem sie ihren Lebensinhalt fand. Sie glaubte plötzlich an übernatürliche Dinge, Geister, Vorhersehung und so weiter. Sie hielt sich für ein Medium und war fest davon überzeugt, mit den Toten reden zu können. Ich hielt ihr ständiges Deuten von Dingen, ihre Tarotkarten und magischen Steine irgendwann nicht mehr aus und ging. Ich suchte mir ein kleines Appartement und eine Arbeit, die ich zeitlich neben dem College bewältigen konnte. Natürlich unterstützte mich der Professor weiterhin und so blieben wir immer in Kontakt. Er sagte einmal zu mir, dass ich für ihn wie eine eigene Tochter wäre. Ich bin ihm sehr dankbar, für alles was er für mich getan hat. Und um ihre Frage zu beantworten: ja, ich glaube uns verbindet sogar mehr als nur eine tiefe Freundschaft.“ Rachels Stimme ist sehr leise geworden und die Sorge und Angst um den Professor ist für Damian fast körperlich spürbar. Er ist gelinde gesagt mehr als erschrocken darüber, dass er ihre Empfindungen so stark wahrnimmt. Ihre Gefühle prasseln wie winzige Faustschläge auf ihn ein und er hat die Befürchtung, sie könnte etwas bemerken. Deswegen wendet er den Blick ab und versucht weiter beherrscht und ruhig zu wirken. Eine unangenehme Stille breitet sich aus.
„Und Sie? Gibt es in ihrem Leben auch jemanden, dem sie bedingungslos vertrauen und der sie niemals im Stich lassen würde?“ Rachel nippt erneut an ihrem Brandy und schaut ihn schließlich erwartungsvoll an.
„Nein“, ist Damians schlichte Antwort und Rachel befürchtet bereits, es bleibt bei diesem knappen Statement.
„Ich wurde zu oft enttäuscht, hintergangen und verraten“, gibt er zu und schaut in das leere Glas in seiner Hand. Er muss mehr von diesem Gesöff trinken, denn sein Speichel schmeckt plötzlich bitter. Das Monster ihn ihm ist erwacht und hat seine Beute erspäht. Rachels Duft bringt Damian fast um den Verstand. Wieder etwas, dass er nicht einordnen kann. Sein Geruchs-und Geschmackssinn sind vor Jahren nach und nach fast verschwunden. Seit einer kleinen Ewigkeit hat er weder den feinen Duft einer Blume noch irgendeinen anderen Geruch wahrgenommen. Bei dem Brandy schmeckt er nur die Schärfe des Alkohols, mehr nicht. Aber wenn er auf die Jagd geht und der Vampir seine Beute ins Visier nimmt, dann sind die Sinne, die er braucht um zu jagen, wieder aktiv. Er ist nicht nur kein Sterblicher mehr, nein, auch alles, das einmal menschlich an ihm war, ist inzwischen gestorben. Sein Leben ist seit fast einhundert Jahren ohne Farben, ohne Duft, ohne Geschmack und ohne Gefühl. Er wandelt sozusagen als lebende Hülle durch die Zeit. Aber wie lange noch? Wann hat das alles endlich ein Ende? Oder gibt es womöglich doch noch Hoffnung? Ist Rachel seine Hoffnung?
„Es tut mir leid, ich wollte nicht, dass vielleicht alte Wunden…“, reißt Rachel ihn aus seinen Gedanken. Damian sieht ihr ins Gesicht und wieder ist Rachel zutiefst erschrocken über diesen absolut leeren Blick seiner dunklen Augen.
„Es ist nicht ihre Schuld. Also gibt es nichts, wofür sie sich entschuldigen müssten. Das Leben“, er holt tief Luft, so als würde eine schwere Last auf seinen Schultern liegen, „hat es nicht immer gut mit mir gemeint, wenn Sie verstehen.“ Damian erhebt sich und geht zurück zur Bar, um sich noch einen weiteren Drink zu genehmigen. Er steht mit dem Rücken zu Rachel und sie beobachtet ihn. Was hat ihn zu dem Menschen werden lassen, der er heute ist? Wer oder was hat diesen Mann so verletzt, ihm vielleicht für immer das Herz gebrochen, dass er so verbittert ist? Hat er mit seinen vielleicht dreißig Jahren wirklich schon so viel erlebt, wie er ihr glauben machen will? Manchmal hat Rachel das Gefühl, Cunningham wäre viel älter als er aussieht: die Wahl seiner Worte zum Beispiel oder seine altmodischen Gesten und dieser Satz eben…Cunningham ist und bleibt ihr unheimlich und doch bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihm zu vertrauen. Gerade jetzt, wo sie allein mit ihm ist.
„Was ist mit Ihrem Großvater?“ will Sie nun neugierig wissen. Cunningham dreht sich nicht um, als er sein Glas
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