Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
bezaubernde Kleid am Körper trägt: »He, das ist aber schön... das kenn ich gar nicht, he, gut!«
Wenn eine Familie ihr Innenleben am Köcheln halten kann und so nicht nur Abgestandenes und Erkaltetes im Familienbauch zirkuliert, können heranwachsende Kinder in ihren Eltern etwas wecken, was sonst als Dornröschenstimmung geendet hätte: Alles schläft ein. Diese Mutter hat auf die Aufmerksamkeit des Vaters für die gepflegte und einfallsreiche Kleidung der Tochter nicht mit Eifersucht reagiert, sondern kreativ gehandelt. Die Tochter ist ihrer Mutter einen Schritt voraus gewesen, die Mutter hat es gemerkt und die richtigen Schlüsse daraus gezogen. Manche Frauen hätten auf die bewundernde Bemerkung ihres Mannes der Tochter gegenüber mit einem schnippischen »Bei ihr fallen dir solche Sachen auf!« reagiert. Ja, wenn es bei der Frau diesbezüglich aber nichts gibt, was auffallen könnte?! Umgekehrt kann auch der Charme des jugendlichen Sohnes, mit dem er bei der Mutter sehr wohl ankommt, im Vater neue Bemühungen wecken, es dem Sohn gleichzutun. Im guten Fall. Im schlechten wirft der Mann seiner Frau vor, sich vom Sohn »wieder einmal« naiv um den Finger wickeln zu lassen. Wer will denn Söhnen verbieten, auch ihrer Mutter mit Charme zu begegnen oder ihre Mutter als Sparringpartner zu nutzen im Zaubergarten der Geschlechter?
Ich erlebe oft, wie aufmerksam Kinder werden, wenn der Vater der Mutter ein Kompliment macht oder die Mutter, statt den Kindern stumm recht zu geben, dass der Papa »blöd« ist, denen entgegenhält, dass ihr Papa »ein prima Kerl« ist. Solche Elternhaltungen tragen zum harmonischen
Familienklima bedeutend mehr bei als viele Diskussionen, Ermahnungen oder pädagogische Familiensitzungen um den Esszimmertisch herum.
Mütter beklagen häufig, dass ihre Männer abgestumpft seien für ihre äußeren Reize, die neugierigen Blicke von früher gäbe es schon lange nicht mehr. Doch wo soll der neugierige Blick herkommen, wenn die Frau auch in ihrem Aussehen nichts Neues mehr zeigt? Ab und zu beginnt ein neugieriges Schauen wieder mit einem Kleid aus Altrosa. »Es war nicht einmal teuer.«
Nur du und ich
Mit dem Kinderkriegen ändert sich vieles. Die Paarstruktur verwandelt sich in eine Familienstruktur. Ein mittleres Erdbeben. Denn es bedeutet, dass ein neues Haus aufgebaut werden muss. Paare können in einer Hütte glücklich sein, zumindest in ihrer Fantasie. Familien nicht. Die brauchen ein Kinderzimmer und ein Elternzimmer. Junge Eltern sind naturgemäß häufiger im Kinderzimmer zugange als im Elternzimmer. Irgendwann schlafen sie nur noch im Elternzimmer oder ziehen sich dorthin zurück, um endlich einmal ihre Ruhe zu haben. Das stört die Kinder nicht sonderlich, sie erobern sich einfach auch das Elternzimmer, schlafen bei und zwischen den Eltern. Die Hütte brennt spätestens hier ab.
Die »Entpaarung« ist oft mein größtes Problem in der Kinder- und Jugendlichentherapie. Da sitzen dann gereizte und erschöpfte Eltern, bei denen sich alles ums Kind dreht in den Gesprächen - und in den Gefühlen. Das kann nicht allzu lange gut gehen. Die Kraft für ein langes und glückliches Familienleben schenken nicht die Kinder mit ihren guten Schulleistungen und sportlichen oder sonstigen Freizeiterfolgen. Sie stammt vom Kraftfeld Paar. Wenn es in einer Familie dieses Kraftfeld gibt, weiß ich, dass die Konflikte, die gerade
am Horizont aufgetaucht sind, vorübergehen werden. So wie ein schweres Unwetter irgendwann abzieht. Schwere Unwetter sind normal. Eine Familie hingegen ohne das Kraftfeld Paar ist eine sehr, sehr anstrengende Sache.
Um es deutlich zu sagen: Es geht nicht darum, dass ein Paar in der Familie Sexorgien feiern kann und dann strömt der familiäre Energiefluss von allein. Es geht nicht um wilden Sex, sondern um den Paar-Eros. Es geht um so kleine und unspektakuläre Dinge wie zum Beispiel, dass der Vater der Mutter so aufmerksam und interessiert zuhört, wie er es früher zu tun imstande war, als es nur das Paar gab. Es geht um den Blick der Mutter auf ihren Mann, aus dem kein Ärger und simples Genervt- oder leises Enttäuschtsein spricht, sondern Nachdenklichkeit, Neugierde, Zärtlichkeit, Überraschung.
Eine seltsame Passivität breitet sich mit den Jahren in den Familien dort aus, wo das Paar einst gestanden hat. Dieses Paar steht noch da, in irgendeiner Ecke - doch es kümmert sich keiner mehr darum. Mutter und Vater scheinen es manchmal zu bemerken, wenn sie mit ihren
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