Damon Knight's Collection 08 (FO15)
wahrscheinlich frontal in ihn hineingerammt. Als er langsam aus dem Ort herausfuhr, wurde das Magendrücken zu einem ständigen Schmerz. Impulsiv schaltete er wieder das Autoradio ein. Überall Nachrichten, Verlautbarungen. Eine neue Meldung aus Berlin. Es war nur eine Frage der Zeit. Eine Vorahnung von Trauer überfiel ihn wegen der Unausweichlichkeit eines Krieges. Nur in einer hinteren Ecke seines Gehirns hielt sich die vernünftige Überlegung, es könne alles vorüberziehen, der Kelch könne an ihm vorbeigehen. Doch der Rest war von Gereiztheit überflutet, von einem Impuls, alte Rechnungen zu begleichen, sich zu rächen. Er wußte nicht recht, wo anfangen. Ihm war, als sei ein Teil seiner Persönlichkeit mit jeder johlenden Menschenmenge in der ganzen Welt verschmolzen. Während er weiterfuhr, spürte er, fühlte er, hörte er es förmlich, wie das Klirren von zersplittertem Glas.
Drei Blocks von zu Hause sah er einen brennenden Wagen, in einen Zaun gekracht. Leute versuchten, ihn mit Sand zu löschen.
In seiner eigenen Straße war es anders. Er konnte Geschrei hören, ehe er um die Ecke bog. Dann sah er, wie Leute zur Mitte des Blocks rannten, Leute, die er kannte. Er hielt den Wagen an, stieg aus und sprintete ihnen nach.
„Johnny, bist du das?“
Es war Marty Phillips, der eine Stunde zuvor seine Frau geschlagen hatte. Nun war er ruhig. Er drängte sich durch die Menschenmasse und packte Johnny Loughlin am Arm. „Johnny, hör auf mich! Bleib von deinem Haus weg. Hör auf mich!“
„Wovon redest du eigentlich?“ Jemand umklammerte ihn von hinten; er versuchte, sich loszureißen. Nun vernahm er die Schreie einer Frau.
„Immer ruhig Blut, immer ruhig!“
„Sie kommt heraus“, brüllte jemand von seinem Haus her.
Die Menge wich zurück. Die Arme fesselten ihn stärker. Neben ihm stieß eine Frau hysterische Schreie aus.
Cynthia rannte auf die Treppe vor dem Haus und verharrte. Ihr Morgenmantel, ihre Hände, sogar ihr Gesicht waren mit Blut beschmiert. In der Hand hielt sie eine Zuschneideschere. Sie schrie unartikuliert, an niemanden gewandt, schrille Laute, als wäre sie im Wald verirrt und hätte bereits aufgegeben, um Hilfe zu rufen.
Hinter ihr tauchte ein Mann auf, der offensichtlich Angst hatte, sie zu packen. Sein Gesicht war totenbleich. Johnny Loughlin hörte mit dem Widerstand auf. In eine momentane Stille hinein erschollen die Worte des Mannes in der ruhigen Morgenluft.
„Sie sind tot. Sie hat beide umgebracht.“
Eine Woge von Kraft von irgendwoher trug Johnny Loughlins Leib, dann verließ sie ihn. Er sackte zusammen, stürzte, während um ihn herum Stimmen aufstöhnten, fast jaulten, in einer Mischung von Angst, Resignation und Verzweiflung.
Wo keine Sonne scheint
(Gardner R. Dozois)
Robinson fuhr bereits zwei Tage lang, durch Pennsylvanien nordwärts über das rußige Ödland New Jerseys, und er trieb sich und den Wagen mit brutaler Verzweiflung voran. Einmal hatte ihn die Erschöpfung zu einer Pause in einer kleinen, verrotteten Küstenstadt gezwungen, die aus baufälligen Holzhäusern bestand, hinter deren zugeklappten Fensterläden Menschen mit blassen, erschrockenen Gesichtern hervorlugten. Langsam war er durch leere Straßen gefahren, durch die ein beißender Seewind eine Woge zerknitterter Zeitungen und klebriger Bonbonpapiere raschelnd vor sich herfegte. Am Rand der Stadt war er auf eine verlassene Tankstelle gestoßen, hatte dort mit hochgerollten Fenstern und verriegelten Türen geparkt, wo sich das Licht des Mondes auf verrostenden Zapfsäulen widerspiegelte, und mit einem Schraubenschlüssel in der Hand war er eingeschlafen. Er hatte von zweibeinigen Haifischen geträumt und einmal seinen Kopf heftig am Wagendach angeschlagen, als er aus dem Schlaf und vor den schnappenden Kiefern hochgeschreckt war; blinzelnd reckte er sich dann in der heißen, schweißgetränkten Enge des Wagens und lauschte in die gierige Dunkelheit. Im trübrosa Schein des Morgengrauens hatte sich eine Welle zerlumpter Flüchtlinge aus Atlanta durch die Straßen ergossen und ihn wie metallenes Treibholz mitgeschwemmt. Den ganzen Tag lang war er neben dem windzerpflügten Meer, mit dicken Flecken von Öl und Schmutz wie ein zerschlissener, grauer Teppich, weitergefahren, durch eine verbarrikadierte Stadt nach der anderen, an vernagelten Schaufenstern und abblätternden Plakatwänden vorbei.
Inzwischen war es spät am Abend und erst jetzt begann er, die Geschehnisse zu begreifen, sowohl
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