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Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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ging es genauso. Wie um Himmels willen war Christine hierhergekommen?
    Aber uns blieb keine Zeit für Fragen.
    Tracy starrte die verstört herumstehenden Mädchen fassungslos an. »Wie blöd seid ihr eigentlich? Macht, dass ihr wegkommt! Na los, rennt um euer Leben!!«
    Ich sah mich um. Der Kleinbus stand hinter einer in sich zusammengestürzten Scheune in einem wuchernden Roggenfeld gegenüber einem ebenso maroden Farmhaus, in dem ein einziges Fenster erleuchtet war. Dann folgte ich Christine, rannte den Hang hinunter, weg von der Farm, hinein in den Wald, als wäre der Teufel hinter uns her.
    Es muss ein ätherischer und irgendwie auch schöner Anblick gewesen sein, wie all diese Mädchen barfuß und in wallenden weißen Gewändern den Berg hinunterstürmten, umgeben von einem wildromantischen Naturparadies. Wie Nymphen. Oder Engel.
    Die Zeit verging wie in Zeitlupe, wie in einem fließenden, hyperlebendigen Traum. Die Gesichter der Mädchen spiegelten den Schrecken wider, der ihnen in die Glieder gefahren war, ihre vollkommene Orientierungslosigkeit. Immer wieder sah ich ihre weißen Gewänder zwischen den Zweigen aufblitzen. Tracy, Christine und mir fiel es nicht schwer, uns gegenseitig im Auge zu behalten: Wir waren die einzigen schwarzen Flecken in einem Strom aus makellosem Weiß.
    Plötzlich überkam mich freudige Erregung. Ich fing an, laut zu lachen, hinein in das Sonnenlicht, das durch das grüne Laub der Bäume fiel. Meine unbändige Freude darüber, frei zu sein, der Gefahr so knapp entronnen zu sein, weil Christine plötzlich aus dem Morgengrauen aufgetaucht war wie eine Erlöserin, sorgte dafür, dass ich gar nicht mehr aufhören konnte zu lachen. Tracy und Christine stimmten mit ein, und bald rannten und taumelten und stolperten wir durch den Wald, hysterisch lachend, wahnsinnig, verzweifelt.
    Schließlich kamen wir zu einer Lichtung, und Christine wurde langsamer, um einen Blick auf ihr Handy zu werfen. Dann blieb sie stehen und tippte fieberhaft eine SMS. Auch einige andere Mädchen waren inzwischen vor Erschöpfung stehen geblieben und hielten sich keuchend die Seiten. Irgendwann versammelten sich alle auf der Lichtung, um zu verschnaufen und wieder zu Kräften zu kommen. Dabei lauschten wir immer wieder auf eventuelle Verfolger, aber es war vollkommen ruhig im Wald. Keine Hunde, keine Männer, keine Schüsse. Nur gespenstische Stille.
    Christine lächelte unter Tränen. Als ich sie gerade fragen wollte, was wir jetzt tun sollten, hörte ich das Geräusch sich nähernder Hubschrauber. Dann schwebten vier oder fünf von ihnen über uns, bis das Knattern ihrer Rotorblätter in meinen Ohren zu einem einzigen Dröhnen verschmolz. Christine gab uns mit ausgebreiteten Armen zu verstehen, dass wir uns auf den Boden kauern sollten. Als der erste Hubschrauber auf der Lichtung landete, starrten ihm die weißgewandeten Mädchen ehrfürchtig entgegen.
    Ein großer Mann in schusssicherer Weste und schwarzem Fliegeroverall sprang auf den Waldboden und kam auf uns zu, wobei er in das Mikrofon sprach, das an seiner Schulter befestigt war.
    »Jim!«, rief ich. Fast wäre ich auf ihn zugerannt, aber dann verlangsamte ich meine Schritte wieder.
    Jim grinste uns kopfschüttelnd an.
    »Sarah, ich hatte dich lediglich gebeten, bei der Anhörung auszusagen, und jetzt sieh dir an, in welchen Schlamassel du uns alle gebracht hast!« Er war kurz davor, mich zu umarmen, hielt sich aber in letzter Sekunde zurück. Stattdessen warf sich erst Tracy in seine Arme und dann Christine. Beide waren außer sich vor Freude und dankten ihm überschwänglich dafür, dass er gekommen war, um uns zu retten.
    Während Jim die Umarmung der beiden erwiderte, blickte er zu mir herüber. Ich brachte ein schwaches Lächeln in seine Richtung zustande, und er lächelte zurück und sah mir dabei fest in die Augen. In seinem Blick lagen Mitgefühl und eine Zärtlichkeit, die mich überraschte. Er fühlt wirklich mit uns, dachte ich und blickte überwältigt zu Boden. Erstaunlich für einen FBI-Agenten.
    Wir wurden auf die Hubschrauber verteilt und landeten nach etwa einstündigem Flug auf dem Parkplatz einer Polizeiwache, die sich, wie ich bald herausfinden sollte, in einer Kleinstadt vor den Toren Portlands befand. Das gedrungene Ziegelgebäude stammte aus den fünfziger Jahren und sah nicht aus, als wären seither Renovierungs- oder Instandhaltungsarbeiten durchgeführt worden. In den Innenräumen rollte sich der Linoleumboden an den Rändern

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