Dancing Jax - 01 - Auftakt
Er war gerade mal zwei Handbreit groß und hatte ein rundes, strahlendes Gesicht – so weiß und wabblig wie ein gekochtes Ei. Eine Viper ringelte sich um seine Stirn, zwei weitere saßen auf seinen beiden spindeldürren Armen und umwanden seine Handgelenke. Er war gekleidet in einen rauen Jutekittel, der um die Hüfte mit einem Gürtel zugezurrt war, und auf dem Rücken trug er einen Köcher.
Der Kobold trat behutsam auf eines der goldenen Kissen und spähte auf den kahlen Kopf des Königs herab. Dann streckte er die Hand aus, kniff dem König probeweise in die dicke Nase und gluckste vor sich hin. Der Herzkönig war in einem tiefen Schlaf gefangen – umso besser. Der Kobold nahm den Köcher vom Rücken, setzte sich grätschbeinig auf den kahlen Kopf und machte sich an die Arbeit.
Der Köcher beherbergte keine Pfeile, dafür war er voll von Haxxentrots bösartigen Albtraumnadeln. Das waren lange Holzsplitter, deren Enden auf unterschiedlichste Art geschnitzt waren. An dem einen hockte eine Spinne, in den anderen war eine Kralle geritzt – es gab auch einen grinsenden Totenschädel, einen Blitz, eine tollwütige schwarze Katze, eine Schlange und mehrere mit flachen Enden, auf die niederträchtige Symbole gemalt waren.
Der Kobold lachte hämisch und wählte den Splitter mit der Spinne. Er zielte mit der Spitze auf die königliche Stirn und rammte ihn dann ächzend so tief wie möglich hinein. Dann nahm er einen kleinen Holzhammer von seinem Gürtel und schlug den Span noch tiefer ins Fleisch.
Der Unterkönig stöhnte im Schlaf auf. Der Kobold rieb sich die bleichen Hände, nahm dann das Feuer einer Kerze, die auf dem Nachttisch in der Laterne brannte, und zündete damit die geschnitzte Spinne an. Die Albtraumnadel sprühte knisternde Funken. Kurz loderte eine helle grüne Flamme auf, dann versank sie im Kopf des Königs, ohne auf der Haut irgendwelche Spuren zu hinterlassen.
Der Kobold kicherte. Haxxentrot würde mit ihm zufrieden sein. Die alte Hexe hatte den Plan gefasst, den Herzkönig einen Monat lang mit Albträumen zu quälen, und bisher verlief alles blendend.
Plötzlich bewegte sich einer der Bettvorhänge. Erschrocken zuckte der Kobold zusammen. In der Schlafkammer war jemand! Klammheimlich hatte sich jemand ans Bett geschlichen! Der Kobold ergriff hastig seinen Köcher. Im nächsten Augenblick kraxelte er auch schon wieder am Bett hinauf und versteckte sich in den Schatten unterhalb der Vorhangstange. Als er nach unten blickte, sah er, wie der Karobube die Stoffbahnen beiseiteschob und ins Innere lugte.
Behutsam und fachkundig ließ Jack seine Hand unter die goldenen Kissen gleiten. Der König wimmerte im Schlaf, als achtbeinige Schrecken in seinem Kopf wüteten. Jack zögerte. Noch immer fest schlummernd steckte sich der König den Daumen in den Mund und zog ein Gesicht wie ein unglückliches Baby. Nachdem er einen Augenblick verharrt hatte, tastete Jack weiter. Da!
Langsam und vorsichtig zog er die Hand zurück. Er hatte ihn – er hatte ihn! Er hob den Stein hoch und hielt ihn gegen das Laternenlicht.
Sogleich war sein Gesicht – ja, das ganze Zimmer! – in ein volles rotes Schimmern getaucht, so intensiv und berauschend wie ein Kelch voll Wein. Der Rubin in seiner Hand war so groß wie ein Apfel. Er funkelte und glitzerte und war das Schönste, was Jack je gesehen hatte.
»Welch himmlisches Juwel!«, stieß er sacht aus.
Der Wolfshund zuckte mit den Ohren.
Jack küsste den Edelstein und ließ ihn dann in dem Ledersäckehen an seinem Gürtel verschwinden. Das blutrote Glühen verschwand und Jack schlich sich vorsichtig vom Bett fort.
»Mörder!«, kreischte eine krächzende Stimme draußen vor dem Turm. »Heimtückische Attentäter! Meuchelmörder! «
Man hatte den toten Punchinello gefunden und die Wachen waren alarmiert. Jack vernahm, wie sie die Treppe heraufeilten, um nach dem Unterkönig zu sehen. Der Wolfshund schüttelte sich und erwachte langsam. Noch bevor er den Karobuben sah, konnte er ihn riechen. Dann bleckte er die Zähne und schlug an. Jack wich vor dem Tier zurück. Tobend arbeiteten sich die Punchinellos durch den Turm – Jack hörte sie näher und näher stürmen.
Kein Ausweg! , fuhr es Jack voller Entsetzen durch den Kopf. Ich bin gefangen’ . Denk nach, Jack! Denk nach!
Plötzlich stieß der Herzkönig ein Jaulen aus. Er träumte gerade, dass er bei lebendigem Leibe von Tausenden gefräßigen Spinnen verspeist wurde. Er schlug um sich und hieb auf die Bettdecke
Weitere Kostenlose Bücher