Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
treibt.«
Kate begriff. Niemand würde ihr helfen. Man hatte den Leiterwagen absichtlich dort abgestellt, um sie daran zu hindern, das Camp zu verlassen.
»Fein!«, grummelte sie. »Verflucht großartig!«
Aber das war es ganz und gar nicht. Die unausgesprochene Feindseligkeit an diesem Ort nahm immer mehr zu. Kate war schon früher in brenzlige Situationen geraten, aber das hier, das war etwas anderes. Sie wünschte, sie hätte eine Wagenladung US-Soldaten mitgebracht anstelle eines relaxten Kameramanns aus Kalifornien. Warum glaubte sie eigentlich immer, dass sie mit jeder Situation alleine klarkam? Warum meinte sie, ausgerechnet sie sei unverwundbar?
Zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit dachte sie an ihren Vater. Er hatte sein ganzes Leben lang beim Militär gedient. Mit nur neun Jahren hatte Kate schon in nahezu allen US-Militärstationen gewohnt. Seit drei Jahren hatte Kate nun mit ihrem Vater kein Wort mehr gewechselt. Ihre politischen Ansichten lagen Welten voneinander entfernt und ihr letzter Streit hatte in etwa den Härtegrad einer Atomkatastrophe mit reichlich saurem Regen gehabt. Trotzdem – wäre er jetzt hier, hätte er diesem Ismus längst den Kiefer gebrochen. Allein bei der Vorstellung stahl sich ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht. Kate schwor sich, dass sie, sobald das hier vorbei war, den ersten Schritt tun und Leutnant Colonel Pete Kryzewski anrufen würde.
Sie zog die Jacke aus, griff sich ihren Laptop und wickelte ihn darin ein. Dieses Päckchen unter den Arm geklemmt, blickte sie sich wachsam nach den beiden Bussen um und schlich sich dann schnell durch die wuselnde Menschenmasse. Jeder, der dem Buch verfallen war, schien die Zeit seines Lebens zu haben. Chorgesänge erschallten und fahrende Spielmannszüge erfüllten die sonnige Frühlingsluft mit fröhlicher Musik. Kate hielt sich am äußeren Rand der Menge und schlängelte sich auf den Haupteingang zu. Wenn sie sich an dem zweiten Reisebus vorbeiduckte, ohne dass sie jemand dabei ertappte, könnte sie den Waldweg erreichen.
Der Drang, einfach loszurennen, war gewaltig, aber sie zwang sich, so gelassen wie möglich weiterzuschlendern. Die Kinder und Teenager aus dem zweiten Bus standen inzwischen vor dem Fahrzeug bei den Kindern aus dem anderen Bus, aufgelöst und beunruhigt. Kate erkannte in ihren Gesichtern die gleichen traumatisierten Mienen wie vorhin, aber sie wagte es nicht, stehen zu bleiben oder mit ihnen zu reden. Diese Mail zu verschicken war wichtiger, lebenswichtig.
Hinter dem Fahrzeug ging Kate in Deckung und sprintete geduckt weiter. Dann bremste sie ab und verließ das Camp leise und unauffällig durch den Haupteingang.
Vor ihr erstreckte sich die schmale Waldstraße. Suchend ließ Kate den Blick über die dort geparkten Autos streifen, entschied sich für den linken Wegesrand, eilte an den Fahrzeugen vorbei und probierte alle Türen so unauffällig wie möglich durch.
»Na komm schon«, flüsterte sie gehetzt. »Jemand muss doch den Schlüssel stecken gelassen haben! Schließlich gibt es in diesem Land keine Verbrechen mehr, richtig? Kein Grund also, sich um Autodiebstahl Sorgen zu machen. Warum müsst ihr Briten eigentlich immer so furchtbar korrekt sein, selbst wenn ihr absolut durchgeknallt seid? Nur ein Schlüssel im Zündschloss! Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt. Ich stelle auch keine Ansprüche – es muss ja kein Porsche sein.«
Doch es war zwecklos. Alle Fahrzeuge waren abgeschlossen. Und schließlich begriff Kate auch, warum. Die Besitzer wussten, dass der Karobube heute hier sein würde. Und seine Figur im Buch war mit juckenden Fingern geplagt. Er konnte nicht anders, als alles zu klauen, was ihm gefiel. Die Eigentümer der Wagen wollten kein Risiko eingehen, solange der freche Gauner auf freiem Fuß war.
Kate stieß einen leisen Fluch aus. Nun musste sie zu Fuß das nächste Dorf oder zumindest den nächsten Fleck erreichen, wo sie Empfang hatte.
Halb rennend, lief sie die von Bäumen gesäumte Straße hinab und überlegte, auf welchem Weg sie heute Morgen angereist waren. Sam hatte hinter dem Steuer gesessen, während sie ihre Notizen durchgegangen war, daher hatte sie während der Fahrt kaum ihre Umgebung wahrgenommen. Sam hatte einen Kommentar vom Stapel gelassen, dass diese Gegend nicht gerade seiner Vorstellung von einem Wald entsprach. Sicher, es gab eine Menge Bäume, doch die standen in mehreren kleinen, verstreuten Grüppchen zusammen. Dazwischen lagen immer wieder offene
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