Danger - Das Gebot der Rache
aus, als würde sie bei einem Schneider arbeiten und nicht in einem New-Age-Laden.«
Olivia lachte. Zum ersten Mal an diesem Morgen. »Pass auf, Sarah, deine provinziellen Wurzeln kommen zum Vorschein.«
»Diesen Gedanken verbitte ich mir.«
»Demnächst trägst du noch einen karierten Rock mit Blazer und Kniestrümpfen zur Arbeit.«
»Sehr komisch.«
»Finde ich auch.« Olivia blickte auf den ramponierten Korbschaukelstuhl ihrer Großmutter. Er stand neben einem Topf, aus dem die glänzenden Blätter eines ständig wachsenden Pfennigbaums quollen.
»Oh, bei mir klopft jemand an, ich lege besser auf …«
»Wir hören uns später«, sagte Olivia, die wusste, dass Sarah auf ihrem Apparat mehrere Gespräche gleichzeitig empfangen konnte. Sarah, die ewige Optimistin, dachte vermutlich, bei dem Anrufer handelte es sich um den widerspenstigen Leo, der die Nase voll hatte von der neuen Frau und nun auf Händen und Knien zurückgekrochen kam, um seine liebende Heilige von Gemahlin um Verzeihung zu bitten.
Hairy S. stieß ein Bellen aus und wirbelte in schnellen kleinen Kreisen zur Hintertür. »Möchtest du raus?«, fragte Olivia und stieß die Tür auf. Der Hund sauste hinaus. Sturmwolken türmten sich am Horizont, die Luft war stickig und schien Regen zu bringen. Hairy S. rannte über die Veranda und verschwand im hohen Gras unter den Zypressen, wo er den Boden nach der Fährte von Eichhörnchen, Opossums oder Sumpfvögeln abschnupperte, die er aufscheuchen konnte.
Olivias Magen knurrte. Es war zehn Uhr morgens, und sie hatte seit Stunden von nichts anderem gelebt als von Kaffee und Adrenalin. Sie öffnete den Kühlschrank. Zwei Eier, ein Stück Käse, ein halber Laib Brot und eine Flasche Ketchup. »Omelette-Zeit«, sagte sie wenig begeistert, als sie Hairy S. ins Haus tappen hörte. »Was steht’s mit dir?« Sie öffnete die Tür zur Vorratskammer, wo ein halbvoller Sack Hundefutter unter drei Regalen voller Pfirsiche, Aprikosen und Birnen in Dosen stand, die ihre Großmutter gelagert hatte. Bei dem Gedanken an die alte Frau verspürte Olivia einen Stich der Traurigkeit. Es war verdammt schwer, jemanden zu verlieren, der einen so bedingungslos geliebt hatte.
Nachdem sie Trockenfutter in Hairys Schüssel geschüttet hatte, füllte sie das Papageienfutter in Chias Käfig nach und strich ihr über die glatten grünen Federn. »Ist sie nicht schön?«, hatte Grannie gefragt, als sie den Vogel damals mitbrachte. »Sie machen ganz schön Dreck, ich weiß, aber Wanda schuldete mir Geld und hat mir stattdessen Chia angeboten. Ich konnte nicht widerstehen.« Grannie hatte mit den Augen gezwinkert, und von da an war Chia ein Familienmitglied gewesen.
»Grannie hatte recht, du bist schön«, sagte Olivia zu dem Vogel, der seine glänzenden Flügel streckte und ein paar Körner aus dem Schälchen pickte.
Olivia stellte das Radio an und steckte zwei Scheiben Brot in den Toaster. Während der Hund kurzen Prozess mit seinem Frühstück machte, zündete sie im Herd Feuer an und verquirlte die Eier. Patsy Cline sang von ihrer verlorenen Liebe.
Großartig. Genau das brauche ich jetzt. Das baut mich ja richtig auf
, dachte Olivia. Die Eiermasse begann Blasen zu werfen, und sie rieb den Käse hinein. Die letzten Töne verklangen, und »Ramblin Rob«, der DJ , blendete sich ein und erzählte etwas über diesen Klassiker der Country-Musik, der kurz vor dem Tod der Sängerin aufgenommen worden war. Sein tiefer Bariton drang aus den Lautsprechern, und er sprach, als würde er all seine Zuhörer persönlich kennen. Was Olivia gefiel.
In den wenigen Monaten, die sie wieder in Lousiana verbracht hatte, hatte Olivia viele der lokalen Nachrichtensprecher und DJ s gehört. Der Sender, den sie am häufigsten einstellte, war WSLJ , auf dem auch Samantha Leeds alias »Dr.Sam« ihren nächtlichen Anrufern Rat erteilte – der Sender, den sie gestern Nacht während ihrer Vision gehört hatte.
Die verfluchte Vision.
Abermals verspürte Olivia den eisigen Schauer, der sie jedes Mal durchfuhr, wenn sie an den grauenhaft Mord dachte.
Dann tu es nicht. Denk einfach nicht daran.
Aber auch wenn sie sich innerlich zurechtwies, schoss ihr immer wieder das Bild des um Gnade bettelnden Opfers durch den Kopf. Unkonzentriert schrammte sie mit den Fingerknöcheln über die Käsereibe. »Autsch! Verdammt.« Blut quoll hervor. Schnell saugte Olivia an der Wunde, dann stellte sie den Hahn an und ließ kaltes Wasser über ihre Hand laufen. »Was bin ich
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