Daniel Briester - Friedemann, A: Daniel Briester
Er konnte gehen, reden, existieren, aber er lebte nicht mehr. Nur die Hülle war da, dass Leben darunter war weg, hatte sie mitgenommen. Es kam ihm so vor, als wenn er jeden Tag näher am Abgrund entlang balancierte, aber er wollte abstürzen, ja richtig abstürzen.
Diese Angst hatte ihn zehn Jahre in seiner Kindheit begleitet, war sein ständiger Begleiter gewesen. Tag für Tag.
Er stand auf, band sich das feuchte Duschtuch um die Hüften und trank einen Schluck Mineralwasser, blickte auf die Waffe. Es wäre prompt erledigt. Er brauchte nur einmal anhalten, abdrücken, dann wäre es vorbei. Der Abgrund würde ihn verschlucken. Er setzte sich, nackt wie er war, an den Küchentisch, der bereits in der Wohnung gestanden hatte, als er sie übernommen hatte. So wie alle anderen Dinge. Er zog die Waffe heraus, sah sie sich an. Die P6, oder besser SIG Sauer P225 ist eine Modellvariante aus der P220. Sie verfügte über ein einreihiges Magazin mit acht Patronen, Kaliber 9 mm Parabellum. Acht Schuss, aber einer würde reichen, nur einer!
„Bring dich um, du blöder Versager, du jämmerliche Missgeburt“, hatte sein Vater gesagt. „Du bist sogar zu blöde, eine Frau zu halten. Für dich verblödeten Bastard muss ich noch Geld ausgeben. Geld, das meinem Sohn gehört, stiehlst du ihm. Aber du hast ihn immer bestohlen, weil du Missgeburt leben musstest. Eines Tages holen mein Sohn und ich uns das zurück, jeden Pfennig und dann gehst du vor die Hunde. Bring dich um! Zeige wenigstens einmal im Leben, dass du ein Mann bist, du Jammer- lappen.“
„Erschieß dich! Mir ist es egal. Ich gehe“, hörte er Petra keifen. „Ich hab die Schnauze voll. Du bist kein Mann mehr, sondern ein Roboter, eine Maschine. Du bist mit deinen Toten, Verbrechern, Mördern verheiratet.“
„Dann geh. Ich benötige dich nicht“, hatte er erwidert.
„Das werde ich machen. Endlich wieder mit einem richtigen Mann zusammenleben, der noch etwas anderes kennt, als Arbeit. Du weißt nicht was Leben heißt. Ich habe Jahre mit dir verschwendet, ver- schwendet, verschwendet. Du bist ein Blender. Du siehst nur wie ein Mann aus, bist aber keiner, nur ein Arbeitstier. Du kennst nur deine Kriminellen, deine Toten. Logisch, weil du dich denen gegenüber aufspielen kannst und die anderen sagen eh nichts mehr. Kommst du dir dabei wichtig vor? Du verdienst nicht genug Geld, dass man sich was leisten kann. Du willst ein Mann sein? Seit sechs Jahren betrüge ich dich und du Idiot hast nichts bemerkt, weil es nur deine bescheuerte Arbeit gibt. Man kann bei dir froh sein, wenn du einmal im Monat einen hochkriegst. Warum habe ich bloß so einen Versager geheiratet? Das Einzige, das an dir jemals interessant war, du Schlappschwanz, war das Geld deines Alten. Nur der alte Geizhals sitzt auf seiner Kohle und du Schlappschwanz lässt dir das gefallen. Du hättest dir mindestens einen Teil deines Erbes auszahlen lassen können, damit ich genug Geld zum Verreisen und für meine Kleidung gehabt hätte.“ Sie war gegangen. Er hatte sie nur einmal wiedergesehen, am Scheidungstag. Es war gelogen gewesen, was er damals zu ihr gesagt hatte, er brauchte sie. Er benötigte sie, gleichzeitig verfluchte er sie, dass sie ihn verraten, allein gelassen hatte. Sie hatte nicht nur seine Träume von einer Familie mitgenommen, sondern sein Leben. Sie hatte sein Vertrauen missbraucht, das Gelübde der Treue gebrochen. Sie hatte ihn belogen, betrogen, seine Liebe verhöhnt. Ja, sie hatte ihn all die Jahre nur hinters Licht geführt. Er warf das Glas an die Wand, wo es zerschellte, dann ergriff er die Pistole, legte sich auf das Bett, spielte mit ihr. Weshalb war er zu feige, sie zu benutzen? Selbst das schaffte er nicht. Er war kein Mann, eine leblose Witzfigur. Er lachte, weinte, bis er irgendwann erschöpft einschlief.
*
Sandra wurde sehr früh wach, stand auf, kochte Kaffee, in Gedanken bei Volker. Wie er wohl die Nacht verbracht hatte? Ob er einsah, dass nur sie ihm helfen konnte? Sicher und seine blöden Äußerungen von neulich taten ihm bestimmt schon leid. Sie zog sich an, trank den Kaffee. Das Telefon schellte, gleich befürchtete sie wieder das Schlimmste.
„Sandra, mach bitte heute keine weiteren Probleme. Es liegen fünf Anzeigen wegen Beamtenbeleidigungen auf meinem Tisch. Ich weiß, wie schwer das für dich ist, aber meine Leute tun nur ihren Job. Sie wollen dir und Volker helfen, also zeige dich kooperativ, ohne Schreien oder ordinären Beschimpfungen.“
„Dieser Briester
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