Danielle Steel
aus eigener Kraft stehen. Als Andy ihn auf den Arm na hm, streckte er die Ärmchen nach seiner Mutter aus und begann zu schreien.
»Er weiß gar nicht mehr, wer ich bin«, stellte Andy bekümmert fest.
Während sie das Flughafengebäude verließen, legte er den Arm um Kate. Es schien ihm , als sei er Jahre fort gewesen. Kate war sehr verlegen, und wenn er sie auf der Fahrt nach Hause ansah, schaute sie betreten zur Seite. Sie sagte zwar, dass sie glücklich sei, ihn wieder zu sehen, doch sie m achte einen verstörten Eindruck. Sie stellte Fragen zum Verlauf der Prozesse, doch sobald Andy versuchte, ihre Hand zu nehmen, zog sie sie weg und gab vor, etwas in ihrer Handtasche zu suchen. Sie wollte ihn nicht noch mehr in die Irre führen, als sie es ohnehin schon getan hatte.
Kate hatte den Lunch bereits vorbereitet, und nach dem Essen legte sie Reed hin, damit er seinen Mittagsschlaf hielt. Sie wollte es schnell hinter sich bringen. Sie konnte nicht mehr länger warten, wollte, dass die Lügen ein Ende hatten. Sie wollte Andy ein schlecht gespieltes Theaterstück ersparen.
»Kate, ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte er, nachdem s ie Reed zu Bett gebracht hatte. In ihrem schwarzen Kleid sah sie plötzlich viel älter und ernster aus, als er sie in Erinnerung hatte.
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Andy hatte keine Ahnung, was während seiner Abwesenheit geschehen war, doch er spürte, dass etwas Schlimmes im A nzug war. Die Atmosphäre war angespannt.
»Können wir uns setzen? Ich m uss mit dir sprechen.« Gemeinsam gingen sie ins W ohnzimmer. Kate setzte sich aufs Sofa, Andy ihr gegenüber in den Sessel. Auch während sie ihn anblickte, war sie mit ihren Gedanken bei Joe.
Niemals in ihrem Leben hatte sie jem andem einen so entsetzlichen Schmerz zugefügt. Als sie Joe drei Jahre zuvor verlassen hatte, war die Situation eine vollkommen andere gewesen. Der Mann, der vor ihr saß, liebte sie und das gemeinsame Kind, das sie m itnehmen würde. Doch es gab keinen Ausweg. Sie mussten beide der Wahrheit ins Auge blicken. Kate war ärgerlich, dass sie ernsthaft geglaubt hatte, ihre Liebe zu Andy könne sich entwickeln. Sie hing zwar sehr an ihm, denn sie hatten glückliche Zeiten m iteinander verbracht. Doch das alles hatte nun keine Bedeutung mehr. Die Begegnung mit Joe hatte alle s verändert.
»Was ist denn los, Kate?«, fragte Andy ruhig. Er sah besorgt aus, doch er hatte sich unter Kontrolle. In den letzten vier Monaten schien er reifer geworden zu sein. Er war m it zahllosen Grausamkeiten konfrontiert worden. Mit der Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete, war er gewachsen.
»Andy, ich habe einen entsetzlichen Fehler gemacht«, begann sie und achtete darauf, dass sie ihm nicht zu nahe kam . Sie versuchte nicht einmal, seine Hand zu nehmen. Zu ihrer beider Wohl wollte sie die Wahrheit so schnell wie möglich über die Lippen bringen.
»Ich glaube nicht, dass wir darüber sprechen sollten«, fiel Andy ihr plötzlich ins Wort.
Kate blickte erstaunt au f. »Doch, das müssen wir«, beharrte sie. »Während deiner Abwesenheit ist etwas geschehen.« Kate hatte vor, ihm ausnahm slos alles zu erzählen. Doch Andy
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hob abwehrend eine Hand. Offenbar wollte er ihre Worte zurückhalten, und Kate sah ein Funkeln in seinen Augen, das sie nie zuvor bemerkt hatte. Er übernahm nun die Regie.
»Was auch geschehen ist, Kate, ich habe nicht das Bedürfnis, es zu erfahren. Ich will es nicht wissen. Du wirst mir kein Wort sagen. Es ist nicht wichtig. Nur wir beide zählen und unser Sohn. Wir werden da weitermachen, wo wir aufgehört haben« Kate war sprachlos. Doch sie gewann ihre Fassung zurück. »Aber, Andy, wir können nicht …« Tränen füllten ihre Augen. Er musste ihr einfach zuhören. Sie würde ihn verlassen und Joe heiraten. Sie wollte nich t mehr länger seine Frau s ein. Sie würde nach all den Jahren nicht zulassen, dass sie ihn erneut verlor. Doch ohne Andys Einverständnis konnte Kate sich nicht scheiden lassen. Offenbar ahnte er etwas, jedenfalls genug, u m zu wissen, dass seine Ehe in Gefahr war. Offensichtlich hatte er nicht vor, tatenlos zuzusehen. Er hatte längst eine Entscheidung getroffen, ohne Rücksicht auf ihre Gefühle. Für Andy war das Thema erledigt.
»Doch, Kate, das können wir«, sagte er in einem Ton, der Kate Angst machte. »Und wir werden es tun. Was i mmer du mir sagen wolltest, du wirst es für dich behalten. Wir sind verheiratet. Wir haben einen Sohn. Ich hoffe, dass wir bald noch mehr Kinder haben
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