Danielle Steel
Leid, Kate. Das alles muss schrecklich für dich gewesen sein.«
»Ja, das war es.« Tränen glitzerten in ihren Augen. »Ich kann mich noch genau an jenen Tag erinnern … an jede Einzelheit. Merkwürdig ist nur, da ss ich m ich an meinen Vater selbst k aum erinnern kann. Dabei war ich schon acht, als er starb. Zwei Jahre vor seinem Tod hatte er sich vollkomm en von der Außenwelt zurückgezogen.« Traurig starrte sie vor sich hin. Die schmerzliche Erfahrung hatte tiefe Narben hinterlassen. »Für meine Mutter war es sicher auch ganz schrecklich, aber sie spricht nie von ihm. Manchm al wünsche ich mir, dass es anders wäre. Ich weiß so wenig von ihm. Clarke sagt jedenfalls, dass er ein netter Mann war.«
»Das war er bestimmt.« Joe erkannte den Schmerz in ihren Augen. Das war der Kern all ihrer Ängste, vor allem der Angst, verlassen zu werden. Ohne es zu wollen, hatte Kates Vater seiner Tochter großen Schmerz zugefügt. Doch nun war sie an Joes Seite glücklich geworden. Endlich hatte sie ein sicheres Zuhause gefunden.
»Ich bin froh, dass du nun alles weißt«, stellte Kate m it ruhiger Stimme fest. Es war das einzige Geheimnis, das sie bis jetzt vor Joe bewahrt hatte.
Als sie später zu Bett gegangen waren, sprachen sie noch lange von Andys Verrat. Kate konnte immer noch nicht fassen, dass Joe ihm jedes Wort geglaubt hatte, aber noch schwerer traf es sie, dass Andy die Schuldgefühle und die Schwächen seines Rivalen auf so schamlose Weise ausgenutzt hatte. Und er hatte Erfolg gehabt. Sein Vorgehen war verabscheuungswürdig, doch sowohl Joe als auch Kate mussten zugeben, dass Andy sich einen ausgesprochen klugen Plan zurechtgelegt hatte. Kate hätte Andy eine solche Niederträchtigkeit niemals zugetraut. Nun sah sie ihn in einem ganz a nderen Licht, und eines Tages würde sie ihn dafür zur Rechenschaft ziehen. Zum Glüc k waren Andys Bemühungen am Ende doch vergeb lich gewesen. Er hatte Kate
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verloren. Sie hatte den Weg zurück zu Joe gefunden, und es verging kein Tag, an dem sie nicht dem Schicksal dafür dankte. Im Frühjahr verbra chte Joe viel Zeit in Kalifornien. Er musste sich um die dortige Niederla ssung seiner Fluggesellschaft kümmern, die einen neuen, größeren Standort benötigte. Im Sommer war er immer häufiger fort, und schließlich zog auch Kate mit den beiden Kindern und der Kinderfrau nach Los Angeles. Sie wohnten im Beverly Hills. Am Anfang war Kate sehr zufrieden. Sie ging einkaufen, spielte mit den Kindern oder ging zum Pool und beobachtete die Stars, die im Hotel ein- und ausgingen. Joe war die meiste Zeit über im Büro. Oft kam e r erst nach Mitternacht ins Hotel und verließ es früh am Morgen gegen sechs bereits wieder. Er war dabei, auch den Luftraum über dem Pazifik für seine Fluglinie zu gewinnen, und er beschäftigte sich nur noch mit den Routen und den Niederlassungen, die in Europa eingerichtet werden sollten. Es war ein gewaltiges Unternehmen, das höchsten Einsatz verlangte. Joes Fluggesellschaft war dabei, eine der bedeutendsten der Welt zu werden.
Im Septe mber hielt Joe sich oft in Hongkong und in Japan auf. Für Kate und die Kinder waren die Entfernungen nun zu groß geworden, denn Kate wollte die Kleinen auf keinen Fall wochenlang alle in lassen. Es hatte auch keinen Sinn mehr, in einem Hote l in Los Angeles herumzusitzen und auf Joe zu warten. Also zog sie zurück nach New York und wartete dort auf Joes Rückkehr. Jeden Abend rief Joe sie an und hielt sie auf dem Laufenden. Er erledigte alle s gleichzeitig. Er le itete den Firmensitz in New York, versuchte, seine Gesellschaft im Osten zu etablieren, entwarf Flugzeuge, kümm erte sich um die Fluglinie und startete zu Testflügen, wann immer er konnte. Verständlicherweise war er sehr angespannt. Selbst am Telefon war das nicht zu überhören. Obwohl er zahllose kompetente Mitarbeiter einges tellt hatte, erledigte er bestimmte Dinge am liebsten selbst. Ständig beschwerte er sich, dass er nich t
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genügend Zeit habe, seine selbst entworfenen Flugzeuge zu fliegen oder mit seiner Frau zusammen zu sein.
Als Joe Anfang Oktober zurückkehrte, war er vier Wochen lang nicht mehr zu Hause gewesen, und Kate klagte, dass sie ihn kaum noch s ehe.
»Was soll ich denn machen, Kate? Ich kann doch nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein.«
Zwei Wochen lang war er in Tokio gewesen, hatte Verträge abgeschlossen und Flugrouten ausgearbeitet. Anschließend hatte er in Hongkong mit den Briten verhandelt. Die
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