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Dann fressen ihn die Raben

Dann fressen ihn die Raben

Titel: Dann fressen ihn die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Meinke
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ihnen die Kurzfassung über schmelzende Pole, die Abholzung des Regenwalds und das ganze Zeug.
    „Im Ernst?“, fragte Mateus mit gerunzelter Stirn.
    „Hey Nick?“, sagte Liv. „Das mit vorhin tut mir leid. Ich hoffe, du bist wieder okay?“
    „Klar.“
    „Der Abend ist noch jung“, sagte Mateus lächelnd. „Und wenn sogar ihr beide euch wieder vertragt, wäre es doch schade, wenn wir alle allein nach Hause gehen. Wollen wir nicht noch ins Kastellet oder so?“
    „Ich bin dabei“, sagte ich prompt. Ich hatte sowieso keinen Plan, wie ich dieses beschissene Projekt zustande bringen sollte, aber solche Sachen erledigten sich irgendwie dann doch immer, also war ich bereit, es von der To-do-Liste zu streichen und ordentlich zu feiern.
    „Och Mann, Jungs, ich kann nicht. Wollt ihr mir nicht stattdessen heute helfen, auf Carl-Philip aufzupassen? Er hat ein neues Idol, ihr werdet euch wundern! Und morgen ist ja auch noch ein Tag!“
    Und damit wurde Minus zu Plus. Wir willigten ein, und dann gingen wir gemeinsam in Richtung Svanemølle. Mateus und Liv schoben ihre Räder, und ich lief nebenher.
    Als wir Carl-Philip dann sahen, bekam Mateus sofort einen Lachanfall. Es war nicht schwer zu erraten, wen sich der Bruder zum neuen Vorbild erkoren hatte. Plötzlich trug er seine Haare kurz und schwarz, hatte Converse -Latschen und ein Korn -T-Shirtan und ähnelte damit zum Verwechseln – mir. Die Verwandlung wurde dadurch perfekt, dass er auch meine Gestik und Mimik imitierte.
    Ich beeilte mich, schnell in Livs Teetrinkerzimmer weiterzukommen. Man konnte mich doch nicht einfach so … duplizieren! Und dann setzten wir uns und plauderten ein bisschen. Mateus berichtete sehr lebendig von unserer Plakatieraktion, und Liv lachte – und lächelte mich an. Dann redeten wir vom Vorsatz der Monkeys, der eigentlich der reine Wahnsinn war, aber ich spürte, dass sowohl Liv als auch Mateus dem Ganzen ebenfalls etwas abgewinnen konnten. Als es Mitternacht war, ging ich mit einem guten Gefühl. Mateus war auf Aktivismus gepolt, und der Konflikt mit Liv und der Projektschreiberei war aus der Welt. Es war – wie Agent Cooper in Twin Peaks sagt – Aces.
    Aber ich konnte jetzt nicht nach Hause. Zu Hause war alles zu kompliziert. Egal, auf wen ich treffen würde, ob Sandra, Henrik oder meine Mutter – irgendetwas würde ich mit ihnen reden müssen. Also lief ich noch ein paar Stunden durch die Stadt und hing irgendwo rum, bis ich mich schließlich so leise in die Wohnung schlich, dass mich niemand hörte.
    Die nächsten paar Tage chillte ich. Ich hatte keine Idee, was ich machen sollte. Mateus und Liv waren völlig von ihren Projekten eingenommen, und ich wusste, wenn ich bei Tobias klingelte, würde ich sowieso wieder nur rumsitzen und kiffen. Und darauf hatte ich keinen Bock. Mittwoch versuchte ich Mira anzurufen, die jedoch nicht ans Telefon ging. Das kotzte mich an. Dabei war ich doch bereit, mich ihrer Sache anzuschließen und einen ordentlichen Einsatz zu leisten! Also rief ich stattdessen Rie an. Es war zwar erst Mittwoch, aber ich sehnte mich danach, mit ihrins Bett zu gehen. Vielleicht sehnte ich mich auch nach ihr. Oder einfach nur nach irgendjemandem, oder irgendetwas.
    „Willst du einen Kaffee?“, fragte sie, als ich ihr Zimmer betrat. Es duftete auf angenehme Weise nach Mädchen, und die Kleiderhaufen auf dem Boden, die ich vorher nicht gesehen hatte, vermittelten Geborgenheit. Sie war also kein Putzteufel – und das konnte jemandem wie mir nur gefallen. Wir tranken eine Tasse Kaffee.
    „Was machst du eigentlich wirklich, Nick?“, fragte sie, als wir um den winzigen Couchtisch in ihrem Zimmer saßen.
    „Ich gehe in die …“ Und dann erinnerte ich mich dunkel, dass ich wahrscheinlich behauptet hatte, neunzehn bis zwanzig zu sein. „Ich … momentan jobbe ich in einem Lager in Avedøre.“ Das klang glaubwürdig.
    „Fährst du Gabelstapler und sone Sachen?“
    „Ja, ich kutschiere Paletten mit Spielsachen durch die Gegend und so.“ Plötzlich wollte ich einfach nur weg. Es gefiel mir nicht, dass ich hier saß und ihr so unverfroren ins Gesicht log. Ich griff nach ihrer Hand, um sie abzulenken. Stand auf und massierte ihr den Nacken. Nach 30 Sekunden nahm sie meine Hände weg und stellte sich vor mich. Sie küsste mich. Und wie. Eigentlich cool. Dann drehte sie ihren Kopf so, dass sie mir in die Augen sehen konnte.
    „Rie, ich … die Sache mit dem Lager, also …“
    „Weißt du was, Nick?“, sagte sie.

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