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Dann fressen ihn die Raben

Dann fressen ihn die Raben

Titel: Dann fressen ihn die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Meinke
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in höchste Alarmbereitschaft versetzt, aber genau wie ich war er nicht gerade scharf darauf, Jonathans Eltern zu besuchen.
    „Dann gehe ich eben allein hin.“
    „Nein, nein, das musst du nicht, also …“
    „Ha! Das habe ich mir schon gedacht“, sagte ich schnell und wartete zehn Minuten später am Trianglen auf Mateus, der wie immer erst mal duschen musste, bevor er das Haus verließ. Unterwegs redeten wir nicht viel. Meine Gedanken wanderten kurz zu den beiden Menschen, die ihren einzigen Sohn verloren hatten.
    Die Tür wurde uns von Jonathans Vater geöffnet. Oder besser gesagt dem, was noch von ihm übrig war. Er war ausgemergelt und merklich gealtert. Als er uns erblickte, wurde er leichenblassund erstarrte. Wahrscheinlich wäre es nicht schlecht gewesen, wenn wir unseren Besuch vorher angemeldet und tatsächlich Kuchen mitgebracht hätten.
    „Kommt rein“, beeilte er sich zu sagen. „Hannah ist gerade einkaufen.“
    Wir gingen in die Küche, in der ich schon unzählige Male gesessen und Makrelenbrote gegessen hatte. Sofort spürte ich Jonathans Abwesenheit.
    „Wollt ihr ein Bier?“
    Ich sagte Nein, Mateus Ja. Dann entschieden wir uns beide um. Jonathans Vater lachte und stellte drei Bier auf den Tisch.
    „Na, was kann ich denn für euch tun?“, fragte er.
    „Wir wollten einfach nur mal Hallo sagen“, antwortete Mateus und lächelte. Die Stille, die darauf folgte, war unangenehm.
    „Liv war auch ein paar Mal hier“, sagte Lars schließlich und seufzte.
    „Und jedes Mal dachten wir, sie hätte irgendwelche Neuigkeiten. Dass sie ihn vielleicht gefunden hätte.“
    „Und das hast du diesmal auch geglaubt?“, fragte ich.
    „Hannah und ich werden die Hoffnung wohl nie ganz aufgeben“, sagte er und seufzte erneut.
    „Wir auch nicht“, sagte ich.
    „Nicht? Das solltet ihr aber. Ihr müsst weiterkommen im Leben. Jonathan hätte keine besseren Freunde finden können als euch. Aber das ist jetzt vorbei.“
    „Jonathan hat über eine bestimmte Sache recherchiert, und wir würden gerne sehen, ob wir etwas darüber finden können“, sagte ich.
    Lars sah mich fragend an. Mateus wirkte nervös.
    „Nichts Besonderes. Es war nur … für jemanden, den wir kennen. Etwas von seiner Pinnwand.“
    „Aha.“ Er erstarrte. „Ihr könnt einfach reingehen und in seinem Zimmer nachsehen. Wir haben nichts verändert.“
    Wir blieben noch ein wenig sitzen und tranken unser Bier. Lars erkundigte sich nach der Schule, und ich log wie ein Weltmeister und behauptete, alles wäre wunderbar. Und Liv ginge es gut. Mateus erkundigte sich nach Lars‘ Job bei der Zeitung.
    „Na gut. Aber jetzt geht schon rein und seht, ob ihr etwas finden könnt. Aber seid so gut und räumt nachher wieder auf. Hannah ist etwas empfindlich, was sein Zimmer angeht. Also wenn … ja. Geht einfach rein und seht selbst.“
    Wir standen hastig auf.
    Es war ein merkwürdiges Gefühl, wieder hier zu stehen. Das Zimmer sah aus, als wäre Jonathan nur kurz aufs Klo gegangen. Sein Bett war nicht gemacht, und überall lagen Blätter verstreut. Einzig sein Gary-Larson-Kalender aus dem letzten Jahr verriet, dass er lange nicht da gewesen war. Doch an seiner Pinnwand hingen nur noch zwei Fotos von Richard Nixon und vom Papst, die wir mal als Dartscheibe benutzt hatten. Es war wirklich zum Verzweifeln.
    Dann öffnete Mateus den Deckel von einem Schuhkarton, der auf dem Schreibtisch stand.
    „Hey, guck mal, was ich gefunden habe!“ Schon von Weitem konnte ich das Logo der Monkeys darin erkennen.
    Anschließend zogen wir schnell unsere Jacken an, verabschiedeten uns und wollten gerade gehen, als Jonathans Mutter Hannah zur Tür hereinkam. Als sie uns sah, stieß sie einen Schrei aus. Kurz und schrill. Lars kam sofort aus der Küche geschossen.
    „Die Jungs waren gerade kurz zu Besuch“, sagte er atemlos. Sie umarmte uns beide sehr innig. Lars registrierte meinen verstohlenen Blick, sah den Schuhkarton in meiner Hand undschüttelte den Kopf. Ich versteckte ihn schnell hinter meinem Rücken.
    „Wir müssen jetzt leider los“, sagte ich.
    „Kommt ihr denn bald mal wieder?“, fragte sie und sah Mateus an.
    „Doch“, antwortete er. „Na klar. In ein paar Wochen vielleicht? Wir haben gerade wahnsinnig viel zu tun mit unserem Schulprojekt und so.“
    „Ach ja. Ja natürlich.“
    Wir stahlen uns hinaus. Hinter der Tür konnten wir Lars’ und Hannahs gedämpften Stimmen hören.
    „Oh Mann, schrecklich, wie traurig die waren“, sagte Mateus, als

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