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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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hätte Lina gegen ihren Willen Schlaftabletten und Wodka eingeflößt? Ein böser Mörder? Hier in der Mainzerstraße?« Er lacht spöttisch. »Wer von uns beiden schaut wohl zu viel CSI? Warum sollte denn irgendjemand auf der Welt deiner lästigen, aber total harmlosen Schwester etwas antun?«
    »Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausfinden.«
    Alex geht um den Tresen und setzt sich neben mich. Seine Stimme wird merklich wärmer und erinnert mich jetzt an Oliver. »Ich verstehe, wie unglücklich du bist. Du machst dir Vorwürfe und glaubst, du hättest Linas Selbstmord verhindern können. Aber ich habe im Internet ein bisschen recherchiert. Wenn es einer wirklich tun will, dann kann ihn niemand daran hindern. Glaub mir.« Sein Blick wandert hinüber zum Fenster. »Als meine Mutter gestorben ist … Weißt du, das war ziemlich schwer für mich.«
    Ich vergesse immer, dass er es auch nicht leicht gehabt hat. Gerade, als ich etwas Tröstendes sagen will, ertönt wieder die Musik aus seinem Handy. Er schnappt sich sein iPhone und verschwindet ohne Kommentar noch einmal im Badezimmer. Diesmal kommt er aber ziemlich schnell zurück.
    »Wird leider nichts mit unserer Pizza«, sagt er knapp. »Kannst du meine nachher mit rausholen? Vielleicht komm ich später wieder. Ein Notfall.« Er rennt aus der Wohnung, als wäre er der einzige Arzt auf diesem Planeten und unterwegs zu einer Operation am offenen Herzen.
    Der Duft der Pizzen verbreitet sich in der Wohnung und lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ich muss an Lina denken und fühle mich mies, dass ich hier sitze und etwas so Triviales machen kann wie Pizza essen.
    Ich hole die Pizzen aus dem Ofen und setze mich dann mit meiner vor den Fernseher, was sonst streng verboten ist, heute aber trotzdem keinen Spaß macht. Nachdem ich lustlos die Hälfte von meiner Thunfischpizza heruntergewürgt habe, kriege ich keinen Bissen mehr runter und lege den Rest auf einen Teller. Lina geistert ständig durch meinen Kopf. Ich muss wissen, wo ihr Handy ist. Und selbst wenn Alex recht hat und Lina hat wirklich versucht, sich umzubringen, muss ich den Grund dafür kennen.
    Ich räume die Küche auf, dann nehme ich mir noch einmal Linas Zimmer vor.
    Nichts. Nichts. Nichts.
    Nach zwei Stunden werfe ich mich wütend und enttäuscht auf den Sitzsack und versuche, mich zu beruhigen. Es ist doch mehr als merkwürdig, dass ich gar nichts finde. Kann es wirklich sein, dass sie vor ihrem Selbstmord alles so akribisch aufgeräumt hat? Es sieht ihr einfach nicht ähnlich. Überhaupt nicht.
    Du steigerst dich da in was rein, Ruby. Woher willst du wissen, was Lina ähnlich sieht? Du hast seit fast einem Jahr kaum noch Kontakt zu ihr gehabt.
    Ich rutsche unruhig auf Linas Sack hin und her, der sich viel unbequemer anfühlt als meiner.
    Nur mal angenommen, jemand hätte doch nachgeholfen? Hätte dafür gesorgt, dass keine Spuren zurückbleiben?
    Aber welche? Und warum?
    Irgendetwas drückt mich in den Rücken. Ich setze mich auf und schaue nach. Nichts.
    Aber dann dämmert es mir. Ich suche den Reißverschluss des Bezugs, ziehe ihn auf und greife hinein. Da ist etwas zwischen dem Bezug und dem mit Styroporkügelchen gefüllten Sack. Es fühlt sich metallisch an. Eine Gänsehaut läuft mir den Rücken herunter, ich greife danach, es ist ganz leicht.
    Ein Schlüssel an einem Lederband. Auf dem Lederband ist etwas eingestickt. »Wende dein Gesicht stets der Sonne zu, dann fallen alle Schatten hinter dich.« Von dem Band steigt ein seltsamer Duft auf.
    Irgendwo habe ich den schon mal gerochen.
    Ich betrachte mir den Schlüssel genauer, es ist kein Tür-, kein Briefkasten- oder Fahrradschlüssel. Er sieht eher altmodisch aus, der Kopf des Schlüssels ist verziert und der Bart winzig. Vielleicht gehört er zu einem Schmuckkasten oder Tagebuch.
    Ich hänge mir den Schlüssel um den Hals und gehe suchend durch ihr Zimmer. Nichts. Verdammt noch mal, nichts, was zu diesem Schlüssel passt.
    Was gäbe es noch für Möglichkeiten? In unserem Haus im Allgäu gibt es Scheunen, Ställe, Dachböden, Garagen und Keller und sogar einen stillgelegten Brunnen.
    Dachboden haben sie hier keinen, das weiß ich, weil das Dach in schicke Penthousewohnungen umgewandelt wurde. Die Garage ist eine Tiefgarage. Aber was ist mit dem Keller? Es muss einen Keller geben und ich bin sicher, dass weder Oliver noch Mam da oft reingehen. Dazu sind sie viel zu beschäftigt.
    Ich ziehe mir Schuhe an und laufe zum Schlüsselbord

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