Dann gute Nacht Marie
(vorausgesetzter) Größe und einem ihrem Typ besonders schmeichelnden Rotton wanderte zu den anderen und Marie geradewegs zur Kasse. Die Summe der an diesem Freitag bezahlten Beträge belief sich nun schon auf über siebenhundert Euro, was durchaus nicht so geplant gewesen war. Egal. Ein eindrucksvolles Ende verlangte eben auch nach einigen Investitionen. Dann würde die Spende an den Bund der Hobbyfotografen eben ein bisschen kleiner ausfallen, wen kümmerte das schon. Schließlich mussten jetzt auch noch neue Schuhe her. Vielleicht sollte sie dabei aber dennoch nicht ganz so exzessiv den Geldbeutel schwingen wie bisher.
Im Schuhgeschäft war einiges los. Gegen Abend konnten endlich auch Berufstätige durch die Einkaufsmeile flanieren und taten es offensichtlich nach Herzenslust. Für Marie bis vor Kurzem unvorstellbar. Und hätte sie heute nicht Urlaub gehabt, wäre sie vermutlich auch jetzt nicht auf die Idee gekommen, sich das freiwillig anzutun. Am ersten Urlaubstag dagegen - kein Problem! Sie schlängelte sich geduldig zwischen den drängelnden Kunden hindurch, wartete, wenn andere es offensichtlich extrem eilig hatten oder unbedingt nur dieses eine Modell probieren konnten. Sie war in diesem Punkt extrem flexibel. Wichtig waren heute nur Optik und Preis. Wie man in den Schuhen lief oder stand, war für das Erstellen des perfekten Nachlasses von sekundärer Bedeutung. SPEICHERN.
Unter diesem Aspekt war es für Marie nicht schwer, ein schickes Paar schwarze Stiefel, rote und braune Pumps und graue Stiefeletten aus Velourleder für nur hundertsiebzig Euro zu bekommen. Jetzt fehlte nur noch eins.
»Wo haben Sie denn bitte Sandalen?«
Die Verkäuferin sah Marie mit großen Augen an, als habe sie diesen Satz nicht in verständlichem Hochdeutsch, sondern in Kisuaheli formuliert.
»Sandalen? Die führen wir nur im Sommer. Jetzt haben wir ausschließlich die Herbst- und Winterkollektion.« Logisch. Im Herbst. Marie wurde in diesem Moment schlagartig klar, woran es bei ihrem so wohldurchdachten Bekleidungseinkauf mangelte: Es fehlte die Sommerkleidung. Kein Kleiderschrank enthielt schließlich nur Wintersachen! Nicht nur die gesuchten Sandalen wären notwendig, um diese Lücke zu schließen, sondern auch luftige Sommerkleidchen, Capri- und Bermudahosen, sportliche Shorts … Aber woher bekam man so etwas in der kalten Jahreszeit?
Die Verkäuferin enthob sie fürs Erste einer Antwort: »Wenn Sie sich bitte jetzt zur Kasse begeben würden - wir schließen gleich.« Gut, dieses Problem musste wohl an anderer Stelle gelöst werden.
Während Marie schwer bepackt ihre zahlreichen Einkaufstüten in Richtung U-Bahn-Haltestelle schleppte, überlegte sie fieberhaft, wie sie das Sommerloch in ihrer Garderobe doch noch füllen konnte. Vielleicht führten Secondhand-Läden auch im Winter noch leichtere Kleidungsstücke? Aber wollte sie wirklich die abgelegten Klamotten von anderen in ihrem Nachlass haben? Andererseits waren die eben neu gekauften Sachen natürlich auch sichtbar ungetragen, was bei Secondhand-Klamotten schon mal nicht das Problem gewesen wäre. Was aber, wenn auch in diesen Läden saisonbedingt nur warme Kleidung angeboten würde?
Als sie auf der Rolltreppe zum U-Bahn-Gleis hinunterfuhr,
fiel ihr Blick auf das Plakat eines Reiseveranstalters: »Gönnen Sie sich den Sommer im Winter!« HERVORHEBEN. Das war die Idee! Das Plakat pries verschiedene Kurztrips in den Süden an, zwei bis sechs Tage, von Mallorca bis Tunesien. Das wäre zwar eine etwas überdimensionale Shoppingtour, aber so kurz vor Ende konnte man schon einmal ein bisschen über die Stränge schlagen, fand Marie. Von ihrem Resturlaub hatte sie erst einen einzigen Tag verbraucht, eine kleine Wochenendreise war da bestimmt noch unterzubringen. Außerdem konnte sie im Ausland nicht nur attraktive Sommerklamotten, sondern auch nette Andenken und exotische Accessoires erstehen, die ihrem Nachlass sicher gut zu Gesicht standen.
Begeistert von ihrer neuen Idee und auch von der Aussicht auf einen unverhofften Kurzurlaub im sonnigen Süden machte sich Marie gut gelaunt auf den Heimweg. In Gedanken plante sie bereits eine Reise, von der sie noch gar nicht wusste, wohin sie gehen würde. Aber das war auch nicht so wichtig. Wichtig war allein, dass es an ihrem Urlaubsort farbenfrohe Sommer-Outfits, exotisches Kulturgut und prächtige Motive für wunderbare Urlaubsfotos gab. Das alles gedachte sie dann »gewinnbringend« für ihre posthume Imagepflege zu
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