Dann muss es Liebe sein
hatte ich angenommen, dass ich dagegen immun sei, dass mir so etwas nicht passieren könne und werde. Jetzt ist es jedoch passiert, und ich muss dringend etwas unternehmen, denn ich bin schon in der neunten Woche, und bald wird man etwas sehen, genau wie bei Emma. Frances hat es bereits erraten. Wie lange wird es dauern, bis Alex etwas bemerkt?
Ich atme ein paar Mal tief ein und versuche, die aufsteigende Panik zu beherrschen.
Wie soll ich bloß eine Praxis führen, mich fachlich weiterbilden und gleichzeitig noch ein Kind großziehen? Und wenn ich »ein Kind großziehen« sage, meine ich damit nicht, es irgendwie durchzubringen, wie meine Mutter es getan hat.
Plötzlich höre ich ihre Stimme in meinem Kopf, und das wundert mich, weil ich normalerweise nur selten an sie denke. »Du kannst noch etwas dagegen tun.« Die Stimme klingt schroff, kompromisslos. »Du musst es nicht bekommen.«
Ich weiß noch, wie meine Mutter eine Abtreibung vornehmen ließ, kurz nachdem mein Vater uns verlassen hatte. Im Gegensatz zu meinem Vater hatte sie sich auf das Kind gefreut, doch als er fort war, hat sie es trotzdem wegmachen lassen. Damals habe ich mir geschworen, dass ich so etwas nie tun würde, aber jetzt verstehe ich, in welcher Zwangslage sie war. Sie stand allein mit zwei Kindern da und rackerte sich in zahllosen einfachen, schlecht bezahlten Jobs ab, um uns durchzubringen. Das Letzte, was sie brauchte, war noch ein zusätzlicher Esser.
Auch wenn es wahrscheinlich doch etwas komplizierter war. Ich schätze, ihre Entscheidung hatte nicht nur damit zu tun, dass sie nicht wusste, wie sie Essen und Kleidung für das Baby bezahlen sollte, sondern auch mit ihrer Jagd nach Männern. Es war schon mit zwei Kindern schwer genug, einen Mann zu finden, geschweige denn mit dreien. Und ohne einen Mann in ihrem Leben ist meine Mutter einfach nicht glücklich. Ich entspanne meine Hände und lockere die verkrampften Finger. Ich rege mich jedes Mal auf, wenn ich an meine Mutter denke.
Ich weiß noch, wie sie mich und meinen kleinen Bruder immer allein in der Wohnung zurückließ, wenn sie zur Arbeit ging. Als ich zwölf oder dreizehn war und Damien ungefähr drei, ließ ich ihn mit seiner Spielzeugeisenbahn in der Küche herumkrabbeln, während ich in unserem gemeinsamen Zimmer Hausaufgaben machte. Das fiel mir nicht schwer – Lernen war für mich eine Möglichkeit, meinem eher tristen Leben zu entfliehen –, und ich war so in meine Arbeit vertieft, dass ich vergaß, darauf zu achten, was er tat.
Es dauerte nicht lange, bis mir der Geruch von Chlor in die Nase stieg und ich ein merkwürdiges Geräusch hörte, als würge die Katze einen Haarballen aus. In der Küche saß Damien knallrot und nach Luft ringend auf dem Boden, und Tränen liefen ihm übers Gesicht. Neben ihm standen die Flaschen mit Bleichmittel und Küchenreiniger, ein Glas war umgefallen, und eine schäumende Flüssigkeit ergoss sich auf das Linoleum.
»Was hast du getan?« Ich überhäufte ihn mit Verwünschungen, packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. »Mum wird mich umbringen.«
Er verzog das Gesicht und begann laut zu weinen, weil ich ihn anschrie, und ich erkannte, dass ich ihm Angst machte. Aber ich hatte auch Angst, also fiel ich auf die Knie und drückte ihn fest an mich.
»Es tut mir leid«, rief ich weinend.
»Er stirbt«, sagte meine Mutter zu mir, als ihm im Krankenhaus der Magen ausgepumpt wurde. »Und das ist ganz allein deine Schuld, Amanda. Das werde ich dir nie verzeihen.«
Damien starb nicht, und der Vorfall ging mit der Zeit in die Familiengeschichte ein, obwohl die Erinnerung daran in diesem Moment so frisch ist, als sei das alles erst gestern passiert.
Ein eigenes Baby? Ein Kind? Beim Gedanken an die Verantwortung und die Verpflichtungen, die damit verbunden sind, schaudert mich. Ich schaue an meinem Körper herunter und sehe, wie meine Hand behutsam über meinen Bauch streicht. Meine Kehle füllt sich mit bitterem Groll, und als die ersten heißen Tränen über meine Wangen fließen, ziehe ich die Hand brüsk weg. Ich kann das nicht. Es geht einfach nicht.
9
Nur keine Panik!
Die Aussicht, auf einem Pferderücken zu sitzen, erscheint mir plötzlich ungemein verlockend, verglichen mit der Perspektive, Alex von meinem Zustand zu erzählen. Und davon, was ich dagegen zu unternehmen gedenke. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, ihm gar nichts zu sagen, doch das lässt mein Gewissen nicht zu.
Ich möchte mit jemandem darüber reden.
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