Dann press doch selber, Frau Dokta!: Aus dem Klinik-Alltag einer furchtlosen Frauenärztin (German Edition)
der Mikroblutuntersuchung – unter Fachleuten auch simpel »MBU« genannt – wird dem Baby, das ja noch in der Mutter steckt, mit einem kleinen Lanzettmesserchen ein Tropfen Blut am Kopf entnommen, der dann wiederum auf seinen Sauerstoffgehalt überprüft wird. »Sauerstoffgehalt hoch« heißt: alles locker, abwarten und Kind bekommen. »Sauerstoffgehalt niedrig« bedeutet: das Kind sollte SCHNELL geboren werden. Und je niedriger der Wert, desto schneller sollte die Entbindung über die Bühne gehen. So einfach ist das mit diesem tollen Test. Es sollte zumindest laut Lehrbuch ganz einfach sein. Aber dort liest sich ja auch eine Herz-Lungen-Transplantation wie ein Spaziergang durch Disneyland.
Wie auch immer – todesmutig starte ich das Spiel um den richtigen Tropfen Blut, und es fängt auch alles gut an. Bei Häs-Schen tadelloser Verlauf: komplikationslose Durchführung (trotz unterirdischen Gemeckers seitens der Mutter). Und auch Olgas ungeborenes Kind kann problemlos mit dem Siegel »besonders guter pH-Wert« versehen werden.
Dann kommt Sectio-Suse an die Reihe. Auch hier ist anfangs alles, wie es sein soll: Patientin gelagert, MBU-Set ausgepackt, eingestöpselt, Köpfchen des Kindes schön tief, so komm ich gut ran, Lanzette aufgezogen, gepiekst und – ES LÄUFT! Ich meine, es bildet sich nicht laaaaaaaaaaaaangsam ein hübscher Blutstropfen an der Einstichstelle, sondern es läuft. Tropf, tropf, tropf. In Sekundenschnelle hab ich die Kapillare voll, dann noch eine hinterher, und es tropft immer noch. Ich schwitze ein bisschen. Meine alte Oberärztin hat immer gesagt: »Wenn du mal ein Gefäß triffst, immer schön drücken, und irgendwann hört es dann auch wieder auf!«
SUPER! Wie lang ist eigentlich »irgendwann«? …
Es ist nicht lustig, wenn so ein Kind durch einen Mini-Piekser blutet wie verrückt. Plötzlich geistert mir diese Mär durch den Kopf, das man durch MBU durchaus Massenblutungen in kindlichen Gehirnen auslösen können soll. Keiner weiß genau, ob die Story wirklich wahr ist – gruselig ist sie auf alle Fälle, das ist mal klar!
Ich sitze also da, übe mit dem Stieltupfer sachte Druck auf die Einstichstelle aus und zermartere mir das Hirn, ob ich auf all meinen Seminaren und Fortbildungen schon einmal etwas von Gerichtsklagen nach missglückter MBU gehört habe. Nein! Negativ. Ich kann mich lediglich an verknackte Ärzte erinnern, die diese Untersuchung eben nicht durchgeführt hatten. Und auch der olle Saling selbst, Erfinder dieser Methode, hat immer nur von deren Vorteilen geredet. Okay, sollte es irgendwie Probleme geben, werde ich den Kerl anrufen und ihn fragen, was der Mist soll. Ächt jetzt.
Aber zum Glück haben alte Oberärztinnen immer recht, und nach nicht ganz fünf Minuten (und zwei Litern Angstschweißverlust) steht die Blutung. Und selbst das CTG sieht endlich wieder schön aus. Dass der PH-Wert dann auch noch gut ist, hebt meine Stimmung deutlich an.
Olga ist dann die Erste der drei Grazien, die das Pressen anfängt. Sanft stöhnend und mit geschlossenen Augen hängt sie auf ihrem Kreißbett und schiebt ihr Kind millimeterweise durchs Becken gen Freiheit. Die Russin ist klein, höchstens 1,54 Meter und selbst schwanger noch zierlich. Dennoch hat sie schon zwei Achtpfünder zur Welt gebracht, eine erstaunlich stattliche Leistung für solch ein kleines Persönchen. Auch dieses Kind wird kein zartes werden, man ahnt es schon, denn der riesige Bauch steht grotesk und unförmig von der immer noch platt auf dem Rücken liegenden Russin ab, und das, obwohl wir bestimmt schon zehn Liter Fruchtwasser aufgefangen haben.
Dann, keine drei Presswehen später, ist es geschafft – souverän und quasi lautlos hat Olga ein 4200 Gramm schweres Mädchen geboren, Damm intakt, Apgar und PH-Wert im grünen Bereich – da waren’s nur noch zwei …
Ich schaffe es gerade, die Erstuntersuchung bei dem kleinen Mops zu beenden, als jämmerliches Geschrei aus Kreißsaal II dringt – »datt Häs-Schen« ist zu Hochform aufgefahren und schreit sich mit knallrotem Kopf die Seele aus dem Leib, während Soli, schweißgebadet und offensichtlich stinkewütend, bei ihren Füßen steht. Auch Soli brüllt, als gäb’s kein Morgen mehr.
»Häs-Schen, du musst jetzt den Mund halten und stattdessen PREEEESSSEN! Hörst du mich? PRESSEN!«
»Des isch sonne Scheiße, isch hab kein Bock mehr auf den ganzen Scheiß, isch will jetzt den Kaiserschnitt ham, abba zackisch, ey WATT für ’ne
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