Darf's ein Küsschen mehr sein?
Männern gegenüber einen Tunnelblick entwickelt und einen riesigen Hintern zurückbehalten. Einen sehr weichen und glatten, aber trotzdem riesigen. Als Kind war sie ein Dickerchen gewesen, und die Angst davor, wieder aufzugehen wie eine Dampfnudel, hatte sie dazu gezwungen, ihr Leben zu ändern. Die Erkenntnis, sich ändern zu müssen, kam ihr am Morgen ihres dreißigsten Geburtstags, als sie mit einer Überdosis Käsekuchen und einem Typen namens Derrick aufgewacht war. Der Käsekuchen war mittelprächtig gewesen und Derrick eine herbe Enttäuschung.
Heutzutage war sie im Herzen zwar immer noch Hedonistin, aber eine nicht praktizierende . Sie gab sich zwar immer noch Ausschweifungen mit Körperlotionen und Badeprodukten hin, aber sie brauchte das, um sich zu entspannen, runterzukommen und gegen trockene, schuppige Haut anzukämpfen.
Sie sank tiefer ins Wasser und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Ihr Körper erlag dem Schaum und dem warmen
Wasser, doch ihr Geist ließ sich nicht so leicht beruhigen und beschäftigte sich weiterhin fieberhaft mit den Ereignissen der vergangenen Wochen. Mit ihrer Zeitlinie und ihrem Konzept machte sie echte Fortschritte. Sie hatte eine Liste mit den Namen erstellt, die im letzten Tagebuch ihrer Mutter erwähnt wurden, die der wenigen Freundinnen, die sie in Truly gefunden hatte, und die von Arbeitskolleginnen. Der 1978 für den Bezirk zuständige Coroner war inzwischen verstorben, doch der Sheriff lebte noch in Truly. Er war zwar inzwischen im Ruhestand, konnte Maddie aber bestimmt wertvolle Informationen liefern. Sie hatte Zeitungsartikel, Polizeiberichte, den Befund des Coroners und so viele Informationen über die Familie Hennessy zusammengetragen, wie sie nur hatte auftreiben können. Jetzt musste sie bloß noch mit allen reden, die mit dem Leben und dem Tod ihrer Mutter in Verbindung standen.
Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass die zwei Kolleginnen ihrer Mutter noch in der Stadt lebten, und mit ihnen wollte sie morgen früh loslegen. Es war allerhöchste Zeit, mit den Leuten in der Stadt zu sprechen und noch mehr Informationen auszugraben.
Das warme Wasser und der duftende Schaum schwappten über ihren Bauch und ihre Brüste. Beim Lesen der Tagebücher hatte sie zum ersten Mal seit neunundzwanzig Jahren beinahe die Stimme ihrer Mutter vernommen. Alice beschrieb ihre Ängste, als ihr klar wurde, dass sie mit ihrer Schwangerschaft ganz allein dastand, und ihre Freude über Maddies Geburt. Von ihren Hoffnungen und Träumen für sich und ihr Baby zu lesen, war so herzzerreißend und bittersüß. Doch mit den herzzerreißenden und bittersüßen Enthüllungen
kam auch die Erkenntnis, dass ihre Mutter gar nicht der blonde, blauäugige Engel gewesen war, den sie als Kind in ihr gesehen hatte. Alice hatte zu den Frauen gehört, die einen Mann brauchten, um sich nicht wertlos zu fühlen. Sie war liebeshungrig gewesen, naiv und immer optimistisch. Maddie war noch nie liebeshungrig gewesen und erinnerte sich auch nicht, jemals naiv oder wegen irgendetwas übermäßig optimistisch gewesen zu sein. Nicht mal als Kind. Die Erkenntnis, absolut nichts mit der Frau gemeinsam zu haben, die ihr das Leben geschenkt hatte, so rein gar nichts, das sie mit ihrer Mutter verband, hatte in ihr eine große Leere hinterlassen.
Maddie hatte sich schon früh im Leben einen Panzer um ihr Innerstes zugelegt. In ihrem Beruf war ihr knallhartes Auftreten von Vorteil, doch in letzter Zeit fühlte sie sich überhaupt nicht mehr knallhart. Eher schutzlos und verletzlich. Schutzlos wogegen wusste sie nicht, doch das Gefühl war ihr zuwider. Es wäre um so vieles einfacher gewesen, die Tagebücher wegzuschmeißen und stattdessen über einen Psychopathen namens Roddy Durban zu schreiben. An diesem widerlichen Scheißkerl, der mehr als dreiundzwanzig Prostituierte ermordet hatte, war sie vor dem Tagebuchfund dran gewesen. Über Roddy zu schreiben wäre tausendmal leichter gewesen, als sich ihre Mutter als Thema vorzunehmen, doch schon an dem Abend, als Maddie die Tagebücher mit nach Hause genommen und gelesen hatte, war ihr klar geworden, dass es kein Zurück mehr gab. Obwohl sie ihre Karriere nicht immer sorgfältig geplant hatte, basierte diese keineswegs auf Zufall. Dass sie True-Crime-Autorin war, hatte einen Grund, und während sie die übertrieben feminine
Handschrift ihrer Mutter studierte, wusste sie, dass die Zeit gekommen war, sich hinzusetzen und über das Verbrechen zu schreiben, das ihre Mutter das
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