Dark Academy 01 - Geheimer Pakt
den silbernen Becher fest umklammert, mit bleicher Haut, stumpfen Augen und schlaffem Körper.
»Nein«, murmelte sie endlich und brachte ein trockenes Lachen zustande. »Ich bin nicht so leicht zu beeindrucken, Sonnenschein.«
»Ich weiß.« Er zwinkerte. »Deshalb wärst du ideal. Und es hat dich schon jemand empfohlen.«
Cassie riss die Augen auf. »Wer? Sir Alric?«
»Um Himmels willen, nein.« Richard wirkte erschrocken. »Erzähl ihm nicht, dass wir dieses Gespräch geführt haben, ja? Ich hätte eigentlich - ähm - nicht davon anfangen dürfen. Behalte es für den Augenblick für dich, okay?«
»Ich werde wohl kaum ein gemütliches Plauderstündchen mit ihm verbringen.« Cassies Tonfall wurde wieder frostig. Warum sollte Sir Alric Einwände gegen sie haben? Offensichtlich war Richard ein unglaublicher Snob wenn er nicht zugeben konnte, sie zu mögen. Einmal mehr war sie sich unsicher, ob sie Richard mochte und vertraute oder ob sie ihn nicht ertragen konnte. »Wer war es dann? Wer hat mich empfohlen?«
»Jemand sehr Wichtiges. Das ist alles, was du ...«
»Monsieur Halton Jones! Vielleicht würden Sie uns gern Einblicke in die Struktur dieser Eröffnungskapitel geben?«
»Madame Lefevre, selbstverständlich!« Richard schenkte der Lehrerin ein strahlendes Lächeln, räusperte sich und schlug sein Notizbuch auf.
Sie hatte es sich wahrscheinlich nur eingebildet, dachte Cassie: die nervöse Erleichterung auf Madames Gesicht. Ein wenig gerötet, als sei sie mit einer grässlichen Unverschämtheit davongekommen, indem sie es gewagt hatte, ein Mitglied der Auserwählten zu tadeln. Der Puls an ihrer Schläfe pochte heftig.
Richard streckte die langen Beine aus und überkreuzte die Knöchel. »Der arme Quasimodo«, begann er. »Die Tragödie zeichnet sich von Anfang an ab ...«
KAPITEL 11
Cassie ging einfach viel zu viel im Kopf herum. Ihre Gedanken und Verdächtigungen waren ein einziges Durcheinander, und über Victor Hugo wusste sie jetzt nicht mehr als vor einer Stunde. Wenn das so weiterging, würde sie wegen Unfähigkeit der Schule verwiesen werden, bevor sie irgendetwas in Erfahrung brachte. Im Flur drängten sich andere Schüler auf ihrem Weg zum nächsten Kurs an ihr vorbei, aber Cassie musste langsam gehen, um nachdenken und ihre Optionen abwägen zu können.
Richard hätte nicht erwähnt, dass sie eine der Auserwählten werden könnte, wenn er es nicht ernst gemeint hätte; da war sie sich sicher. Beim Gedanken an Isabella durchzuckten sie schmerzhafte Gewissensbisse. Wenn Cassie eingeladen wurde, zu den Auserwählten zu stoßen, würde ihre Mitbewohnerin dann nicht schrecklich verletzt sein? Sollte sie sich Isabella anvertrauen oder sie in gesegneter, bequemer Unwissenheit belassen? Und wie riskant war es, sich rekrutieren zu lassen? Cassie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie kaum wusste, wo sie sich befand, geschweige denn, zu welchem Kurs sie unterwegs war. Deswegen wäre sie beinah zu Tode erschrocken, als sich neben ihr die Tür öffnete.
Mit hämmerndem Herzen blieb sie wie angewurzelt stehen.
»Cassie! Ich hatte gehofft, Sie zu erwischen.« Die melodische Stimme war unverkennbar, ebenso wie die Körpergröße und die Ausstrahlung. Was nur gut war, da sie dem Mann so nah stand, dass sie nur die Knöpfe seines Blazers und seine schicke Seidenkrawatte anstarren konnte.
»Hallo, Sir Alric.« Sie schaute blinzelnd in das ungemein gut aussehende Gesicht hinauf.
»Wieder verirrt?«, fragte er spitzbübisch.
Sie schüttelte den Kopf. Hinter ihm erhaschte sie einen Blick auf sein Büro. Dunkelgrüne Vorhänge wurden von goldenen Kordeln zurückgehalten. Hinter einem großen, dicken Teppich beanspruchte ein gewaltiger Mahagoni-Schreibtisch den größten Teil einer Wand. In der Mitte des Raums stand ein kleinerer Tisch mit Porzellantassen von Sevres und einer silbernen Teekanne; zwei hellgelbe Sessel kauerten sich dicht zusammen wie alte Freunde. In einem davon saß eine bekannte Gestalt, die unbefangen lachte und in ihre gebrechlichen Hände klatschte.
»Cassandra, meine Liebe.« Estelle Azzedine versuchte erst gar nicht aufzustehen. »Wie schön! Gefällt es Ihnen an der Akademie?«
Cassie erwiderte ihr Lächeln unbeholfen. »Hallo, Madame Azzedine. Großartig. Wunderbar. Ich meine, ich finde es herrlich hier.«
»Estelle.« Madame Azzedine drohte ihr mit dem Zeigefinger und sah sie mit einem gespielten Stirnrunzeln an.
Sir Alric blickte zwischen ihnen beiden hin und her. »Sie
Weitere Kostenlose Bücher