Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
bloß, die Hüterinnen des Ordens beschäftigen sich ernsthaft mit der Prophezeiung. Ich dachte, sie halten sie für Quatsch!«
»Für ein Märchen«, werfe ich ein.
»Etwas, das man seinen Kindern erzählt.«
»Dem viel zu viel Bedeutung beigemessen wird. Wenn das so ist, warum beschäftigen sich die Hüterinnen damit?«
Kat und Miss Anderson antworten nicht, auch Kat steht nun auf. Sie federt einmal in den Knien und geht dann auf die Tür zu. Anscheinend ist für sie das Gespräch hiermit beendet. Abrupt springt Indie auf.
»Bleib hier, Kat.« Ihre Stimme ist schneidend und Kat, die ihre Hand gerade auf die Türklinke legt, dreht sich langsam zu uns um.
»Ihr helft uns mit Mum. Wir holen sie da gemeinsam raus.« Sie durchquert den Raum, bis sie direkt vor Kat steht. »Und wer am Ende wen umbringt, das wird sich zeigen.«
Schon von Weitem sehe ich, dass sie weg sind. Ich könnte jetzt einfach umkehren, denn nichts macht weniger Sinn, als weiterzufahren, das Motorrad über das unwegsame Gelände holpern zu lassen, bis ich auf dem Platz stehe, auf dem gestern noch die Wagen der Zigeuner abgestellt waren. Trotzdem tue ich es. Ich lasse den Motor der Duke blubbernd ausgehen und ziehe mir den Helm vom Kopf. Der Boden ist von Fahrzeugspuren übersät, das Gras platt gefahren. Ich steige vom Motorrad und lege meine Hand in einen gerillten Reifenabdruck, versuche zu spüren, was der Anblick dieses leeren Platzes in mir auslöst. Doch ich kann es nicht. Mein Herz ist so leer wie die Ebene vor mir. Leer und weit.
Gestern Nacht war ich aufgewacht, jede Stunde, und die Angst um Mum hatte sich mit der Angst abgewechselt, dass die Wölfe uns im Stich lassen würden, dass Miley es nicht schaffen würde, Chakal zum Hierbleiben zu bewegen, oder noch schlimmer, dass er es nicht einmal versuchen würde.
Indie weigerte sich, zu Bett zu gehen. Sie harrte mit Sidney und Eve im Channelraum aus, auch wenn sie nicht mehr versuchten, Mum zu schützen, blieben sie in Gedanken bei ihr. Kat und Miss Anderson zogen sich wortlos in ihre Zimmer zurück. Ihre Wut hing wie eine Glasglocke über Whistling Wing. Sie war greifbar und hätte beängstigend sein können, doch über dieses Stadium waren wir weit hinaus. Seit Mum weg war, war nichts mehr wie vorher.
Ich taste nach der Stelle an meinem Auge. Heute Morgen hatte ich mich im Spiegel angesehen. Das Auge ist blutunterlaufen, ein feiner veilchenblauer Rand, schmerzend, weniger der Verletzung wegen als wegen der Erinnerung an Miley.
»Te del o Del te merav bi memeljako te xoxadem tu«, flüstere ich.
»Sie kann sich sicher sein, dass er ohne Kerze stirbt.«
Ich hebe den Kopf, und als ich mich umdrehe, sehe ich Lilli-Thi an der Duke lehnen, mit der ich gekommen bin. Ihr Gesicht ist noch weißer als sonst und die schrägen Augen dunkel umrandet.
»Sie kann sicher sein, dass er lügt. So wie alle.«
»Lilith schöpft aus ihrem reichen Erfahrungsschatz«, sage ich und bekomme es nicht einmal hin, meine Stimme spöttisch klingen zu lassen, »aus ihrem jahrhundertealten Wissen. Aber sei mir nicht böse, ich brauche deine Worte nicht. Sie widern mich an.«
Lilli-Thi verzieht das Gesicht, als hätte ich ihr eine Ohrfeige gegeben, dann lächelt sie und lässt ihren Blick zum Friedhof hinüberschweifen. Man kann die helle Bruchsteinmauer sehen und den Glockenturm der Kapelle.
»Sie sind feige und lügen. Sie verschwinden im Mondlicht. Packen alles heimlich, damit niemand sie aufhalten kann, damit ihr Gewissen rein ist. Lilli-Thi hat alles mit angesehen.«
Langsam richte ich mich auf, der Morgennebel hat sich verzogen und Tautröpfchen auf den geknickten Halmen zurückgelassen.
»Lilli-Thi hat die Wölfe gesehen, wie sie schweigend ihre Zelte abbrachen. Sie hat den Jungen gesehen. Hier stand er. Und er blickte nicht zurück.«
»Hör auf!«
»Ein Wagen nach dem anderen fuhr davon, zur Straße hinaus, während der Junge hier stand, mit dem Rücken …«
»Hör damit auf!« Mit ein paar schnellen Schritten bin ich bei ihr. Sie will mich quälen, genauso wie ich sie gequält habe, am Tag unserer Initiation im Lager. Sie will nicht nur meinen Tod, nein, sie will mich leiden sehen. Sie will mir das Herz brechen und mit ihren schwarzen Stiefeln darauftreten.
»… mit dem Rücken nach Osten, dem Rücken nach Whistling Wing, wo sich seine Liebste im Schlaf herumwälzte.«
»So war es nicht.«
»Doch. Doch. Lilli-Thi sieht alles. Sie sieht den Jungen den Wagen des Anführers anhalten und die
Weitere Kostenlose Bücher