Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
Türe aufmachen. Sie hört auch, was sie reden. Denn Lilli-Thi steht genau hier, doch keiner bemerkt sie. Will sie bemerken. Denn die Wölfe wollen nur weg. Sie glauben, wenn sie das Unglück verlassen, verlässt sie das Unglück.«
Lilli-This Lachen ist wie der raue Schrei eines Vogels in der Dämmerung. Es hallt in meinen Ohren und über der Ebene. Sie kreuzt ihre Stiefel und sieht mir in die Augen. Ihr Blick ist verschleiert, ihre Augen sind zur Hälfte von einer gallertartigen Haut überzogen, wie die Nickhaut einer Krähe.
»Aber es wundert Lilli-Thi nicht. Lilli-Thi kennt die Männer. Seit Anbeginn.«
»Hör. Damit. Auf«, zische ich. «Was willst du von mir?«
»Sie soll aufhören, an die Männer zu glauben. Sie versprechen Dinge, die sie nicht einhalten. Sie wollen sie dominieren und zähmen und sie ist zu dumm, um das zu merken. Wäre sie meine Tochter, sie würde sich nicht auf einen von ihnen einlassen. Sie wäre frei und Herrin über sich selbst.«
Das leise Geräusch eines weiteren Motorrads weht zu uns herüber. Es ist noch weit entfernt, doch die Ebene täuscht einen, sie lässt ferne Dinge nah erscheinen und Nahes weit entfernt. Ich denke an die anderen, die mich zu Hause vermissen werden. An Indie, der ich nicht gesagt habe, wohin ich gehe, und an Diego, dem ich versprochen hatte, nicht alleine zu gehen.
»Was weißt du von Töchtern.«
Wieder lacht Lilli-Thi.
»Lilli-Thi hat unzählige Töchter geboren. Lilli-Thi weiß alles über die Frauen. Und über die Männer.«
»Warum tötest du mich nicht?«, frage ich sie, mühsam beherrscht. Ich selbst habe keine Waffen dabei. Jetzt bereue ich es bitter. Das Geräusch des fahrenden Motorrads kommt näher. Über Lilli-This Schulter sehe ich eine Duke auf uns zuschießen.
»Was für eine überaus dumme Frage«, ihre Stimme hört sich enttäuscht an, als hätte sie von mir mehr erwartet, »soll ich sie jetzt töten und alles zunichte machen? Nein. Lilli-Thi kann warten. Sie kann Jahrhunderte warten. Sie hat Hüterin um Hüterin kommen und gehen sehen, aber gewartet hat sie nur auf die eine. Und die wird sie nicht töten, bis sie ihren Zweck erfüllt hat.« »Was wollt ihr mit unserer Mutter?«
»Sie soll nicht vergessen, Lilli-Thi ist nicht die Gute und Lilli-Thi ist nicht hier, um Antworten zu geben.«
Kurz flimmert etwas durch ihre Pupillen, ich erkenne Mum. Mums Gesicht, ihre Hände und Arme, die sie schützend hebt, dann wendet sich Lilli-Thi ab und blickt wieder zum Friedhof hinüber.
»Weswegen bist du dann hier? Was willst du mir sagen, was ich nicht weiß? Ich weiß, dass uns die Wölfe belogen haben, und ich weiß, dass ihr nur auf den Tag wartet, an dem ihr uns zwingen könnt, das Tor für Azrael zu öffnen.«
»Mehr muss sie nicht wissen.«
»Aber ich weiß auch, dass Samael dich belügt«, flüstere ich. »Wenn er dir vormacht, dass du frei sein wirst, wird es ein böses Erwachen geben. Der heiß ersehnte Tag wird kein Freudentag sein. So viel ist sicher. «
Wir sind uns so nah, dass ich ihren verbrannten Geruch auf der Zunge schmecke.
»Du wirst seine Dienerin sein, so wie du bis jetzt Samaels Dienerin warst. Du wirst immer unter ihnen stehen und die Drecksarbeit machen.«
Das Motorrad stoppt und ich erkenne Indie, sie lässt die Maschine einfach umfallen, im selben Moment wirft Lilli-Thi ihren Umhang ab und breitet ihre Flügel aus, sie streift damit über meine Stirn, als sie sich in die Luft erhebt, leicht, schwerelos, schwebt sie über mir, der Wind erfasst sie und mit wenigen gewaltigen Flügelschlägen verlässt sie den Platz der Zigeuner. Ich lege meinen Kopf in den Nacken, Indie erreicht mich, mit beiden Händen richtet sie die Glock auf Lilli-Thi, doch ich schlage sie ihr aus der Hand.
Lilli-Thi verschwindet im Blau des Frühlingshimmels.
21
Indie
I ch bücke mich nach der Glock und schieße einmal in die Luft, obwohl Lilli-Thi schon längst verschwunden ist.
»Das wäre unsere Chance gewesen«, sage ich bitter, der Schuss klingt noch wie ein Peitschenschlag in meinen Ohren, Dawnas Augen sind riesige dunkle Seen voller Enttäuschung.
»Indie«, sagt Dawna nur und geht zurück zu dem Motorrad.
»Indie«, äffe ich sie nach. Der große leere Platz mit dem niedergedrückten Gras strahlt Hoffnungslosigkeit aus.
»Lass keinen Hass in dein Herz, begegne allem mit Liebe und Zuversicht«, sagt Dawna mit unbewegter Miene. Dann stülpt sie sich den schwarzen Helm über den Kopf und das Motorrad springt an. Mit
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