Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
fest.
»Sag mir, zu was sie Mum brauchen«, sage ich, obwohl ich mich vor der Antwort fürchte.
Gabe weicht meinem Blick aus. Erst als ich ihm meine Hand auf die Wange lege und sein Gesicht sanft zu mir drehe, sieht er auf mich herab.
»Sie ist die Brautmutter«, flüstert er schließlich. »Die Hochzeit steht bevor, es muss alles bereit sein …« Seine Stimme klingt plötzlich so, als würde sie nicht zu ihm gehören, als würde er mir das erzählen, was Sam ihnen Tag für Tag erzählt.
»Vater und Mutter werden die Braut erwarten. Sie führen sie Seite an Seite zum Altar und übergeben sie dem Bräutigam.«
Mein Atem stockt, das Bild, das in meinem Kopf gemalt wird, ist so realistisch, so plastisch und so farbig, dass es mir den Atem nimmt.
Indie im weißen Kleid, an ihrer Seite ihre Mutter und ihr Vater, die mit ihr würdevollen Schrittes auf das Grab der Ahnen zugehen. Es ist der 1. August, aber als würde der Himmel weinen, wirbelt Schnee über den Friedhof und legt einen Schleier über das Grab. Würdevoll stehen an unserer Seite die Kohorten der Dunklen. Es wirkt majestätisch, aber sie sind nichts weiter als Gefängniswärter, die verhindern werden, dass Indie etwas anderes tut, als vorgesehen ist.
Das Bild endet abrupt, als ich direkt vor dem Grab stehe, Filmriss. Ich stehe wieder vor Gabe, meine Hand ist so eiskalt und seine so heiß. In seinen Augen sehe ich, dass er sich nichts mehr wünscht, als dass diese Zukunft nicht eintreten wird. Dass er alles tun wird, damit es nicht eintritt. Aber der Anblick der ungezählten Dunklen schiebt sich immer wieder zwischen Gabe und mich.
Sag, dass alles gut wird, denke ich mir, aber ich wage nicht, dies auszusprechen. Gabe senkt ein letztes Mal seinen Kopf zu mir. Sein Kuss ist bittersüß, sanft und endgültig.
Dann verschwindet er zwischen den Bäumen, ein Motorrad springt an und ich bin allein mit meiner Verzweiflung.
Erst da merke ich, dass ich die entscheidende Frage nicht gestellt habe.
Wer ist der Brautvater?
22
Dawna
N ach dem gleißenden Hell des Tages folgt die Abenddämmerung, nachdem die Sonne über den Horizont gewandert ist, versinkt sie und die nächste Nacht bricht an. Unsere Zusammenkünfte sind stiller, verschwiegener und heimlicher geworden. Whistling Wing scheint zu lauschen, und wem man vertrauen kann, ist unsicher. Emma sitzt oft nur still am Küchentisch und sieht aus dem Fenster. Wieder treffen wir uns auf dem Dachboden, diesmal nur Eve, Sidney und ich, die beiden stehen Mum unermüdlich zur Seite. Ihre Gesichter sind von Erschöpfung gezeichnet.
»Wir versuchen, dass Tara nicht mehr bei unseren Channelings anwesend ist«, flüstert Eve gerade, »wir haben festgestellt, dass es uns nicht gelingt, zu Vic durchzukommen, wenn sie dabei ist.«
»Im Gegenteil, Vic scheint sich noch mehr zu verschließen.« Sidney kniet sich neben mich, sodass wir ein gleichschenkeliges Dreieck bilden.
»Deswegen versucht Tamara, sie abzulenken. Es ist ganz seltsam mit ihr. Sie scheint keine eigenen Gedanken mehr zu haben, keine Entscheidungen zu treffen. Tamara sagt, sie schläft nicht mehr. Die zwei teilen ja ihr Zimmer, und immer wenn Tamara aufwacht, liegt Tara mit geöffneten Augen im Bett. Sie ist auch nicht wach, sagt Tamara, sie ist dann wie … ausgeknipst.«
»Wir müssen vorsichtig sein«, Eves Stimme ist nun nur noch ein Wispern, »ich habe das Gefühl, sie steht im direkten Kontakt zu IHNEN.«
»Das habe ich schon lange befürchtet.« Auch ich rede leise, leiser als der sanfte Wind, draußen vor dem Fenster. «Es ist, seitdem sie von einem der Vögel angegriffen wurde.«
In meinem Inneren entsteht dieses Bild, das ich schon so lange verdrängt hatte, Taras Kampf mit dem Vogel, ihr nicht enden wollender Schrei und Tamara, die versuchte, ihr zu helfen, doch vertrieben hatten die Vögel dann wir. Indie und ich.
»Es ist gut, wenn man die Gefahren einschätzen kann«, sagt Sidney sachlich, als würde sie vom Angriff eines Bären reden, »lasst uns anfangen.«
Wir beugen uns nach vorne, bis wir mit der Stirn den Boden berühren, dann fassen wir uns an den Händen. Die Frauen sind gut geworden, in kürzester Zeit sind sie in Trance, das Band zwischen uns unzerreißbar. Die aufsteigenden Bilder fließen an uns vorbei, Fetzen, deren wahre Bedeutung wir nicht greifen können. Wir schlängeln uns durch das Motel, folgen Mums Energie, ihrem schwachen Atem, dem Gefühl der Hilflosigkeit. Ich versuche, all dies durch mich hindurchgleiten zu
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