Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
Granny gewesen?
»Was wollte Granny?«, frage ich tonlos. »Welches Ding wollte sie durchziehen?«
Der Typ wirft sich schon wieder gegen die Tür.
Kat sieht in die Wolken und steckt die Hände in die Jackentaschen. An ihren Schläfen sehe ich, dass sie die Zähne zusammenbeisst.
»Was ist?«, fahre ich sie an.
»Ihr wusstet auch nicht, dass Granny sich losgesagt hatte? Dass sie ihren eigenen Plan verfolgt hat?«
Wie ein riesiger Gong dröhnt jeder meiner Herzschläge in meinem Ohr.
Welchen Plan? Wieso losgesagt vom Orden?
»Sie wollte ihr eigenes Ding durchziehen, eure Granny. Hat gemeint, sie wäre etwas Besonderes«, sagt Kat, »genau wie deine Ururgroßmutter. Nachdem das mit deiner Ururgroßmutter und ihrer Schwester passiert war …«
»Passiert?«, flüstere ich. »Was ist passiert?«
Kat sieht mich nicht an.
»Vincenta, die so vernünftig war und sich umgebracht hat, um Azrael den Zugriff auf ihre Seele zu verwehren.«
Umgebracht?
Sie hat sich selbst umgebracht, um Azrael ihre Seele zu verweigern?
»Weil Victoria den Wolf rettete …« Den Liebsten. Sie rettete den Liebsten … und lieferte damit ihre Schwester dem Bösen aus …
»Schon Victoria hat sich gegen uns gestellt und eure Granny zeigte auch keine Einsicht.«
Mit einem gewaltigen Schlag prallt wieder etwas gegen die Tür. Ich kann vor meinem inneren Auge sehen, wie sich einer der breitschultrigen Rocker gegen die Stahltür wirft.
»Sie war nicht mehr in unserem Orden«, sagt Kat.
Im selben Moment springt mit einem gewaltigen Krachen die Tür auf.
Die schweren Schritte entfernen sich als Erstes von der Tür. Kat dreht sich um und sieht dem Mann nach, der langsam über die Dachterrasse geht. Dann lehnt sie sich wieder neben mich, als würde es sie nichts angehen. Ruhig sucht sie in ihrer Jackentasche nach ihrer Bonbondose und sieht hinein, als wäre das alles interessanter als der Rocker, der nach uns sucht.
In mir vermischen sich die Angst vor dem Mann und die Informationen über Granny. Granny, die sich gegen den Orden gestellt hat. Granny, die sich vom Orden gelöst hat. Granny, die ihre eigenen Pläne hatte. Pläne, die uns vielleicht helfen würden, wenn wir sie wüssten.
Ich kann mich nicht mehr zurückhalten. Ich drehe mich um, sehe dem Mann nach, der mit ruhigen Schritten über das Dach geht. Alles an ihm kommt mir bekannt vor. Auch wenn er mir den Rücken zuwendet. Auch wenn er nichts sagt.
Gabe.
Er geht zu dem ersten Kamin und umrundet ihn. Dann hebt er mit einem Fuß eine Plastikplane hoch und lässt sie wieder fallen. Auch den zweiten Kamin umrundet er. Er wirkt so, als wäre er sich seiner Sache ganz sicher. Als wüsste er, dass er hier nichts finden kann. Er bleibt eine Weile am Rand des Dachs stehen und sieht hinunter.
Gabe. Gabe. Gabe.
Wieso kämpfst du nicht für mich, so wie du es früher getan hast? Wieso bist du auf ihrer Seite?
Kat senkt ihre Stimme nicht, als sich Gabe zu uns umdreht und den Blick in unsere Richtung schweifen lässt.
»Er kann uns nicht sehen. Wir sind verborgen in dem Schutzkreis«, sagt sie und schiebt sich ein Bonbon in den Mund. »Er kann uns auch nicht hören.«
Sie seufzt ein wenig.
Gabe geht direkt auf uns zu. Am liebsten hätte ich meine Augen geschlossen. Es wäre das Vernünftigste, ihn nicht anzusehen. Endlich zu akzeptieren, dass er zu den anderen gehört. Dass er nichts anderes ist als der Verführer. Der seinen Job tut.
Mich zu finden.
Aber ich kann meine Augen nicht abwenden. Er kommt direkt auf uns zu, schaut durch uns hindurch, irgendwohin, wo keiner ist.
»Komisch«, murmle ich, während ich ihn weiter beobachte.
Neben mir klappt Kat ihre Bonbondose zu. »Ja. Komisch«, bestätigt sie mir.
»Aber es wirkt nicht immer«, fügt sie hinzu, schiebt sich die Dose wieder in die Jackentasche. Auch sie sieht Gabe entgegen, dann dreht sie sich aber doch um, lehnt sich gegen den Aufgang und sieht über New Corbie hinweg.
»Nicht immer?«, will ich wissen. Es kommt mir eigenartig vor, in ganz normaler Lautstärke mit Kat zu sprechen und dabei Gabe bei seiner Suche zuzusehen. Ihm so nahe zu sein. Ich könnte einfach auf ihn zulaufen. Ich könnte ihn umarmen. Jetzt.
»Nicht immer?«, wiederhole ich meine Frage.
Kat antwortet nicht gleich. Sie sieht eine Weile in den Himmel, als hätte sie mich nicht gehört. Schließlich sieht sie mich doch von der Seite an und sagt mit emotionsloser Stimme: »Wenn derjenige, der dich wirklich liebt, vor diesem Schutzkreis steht …« Sie
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