Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
musste sie alle Fähigkeiten erlernen, die sie brauchen würde. So hätte es geschehen sollen. Aber sie dachten, sie wären klüger. Sie waren so jung gewesen. Jung und wild und nicht willens, sich zu beugen. Und als der Stein im Rollen war, konnten sie ihn nicht mehr aufhalten. Wie oft hatte sie daran gedacht, dass vielleicht alles anders gekommen wäre, wenn sie den einfachen Weg gegangen wären. Natürlich wäre es ein Weg voller Entbehrungen gewesen. Ein Weg voller Gefahr. Eine Hüterin beugt sich nicht. Eine Hüterin liebt nicht. Eine Hüterin gibt ihr Leben, um das Tor geschlossen zu halten. Aber trotz allem wären sie ein Teil des Ordens gewesen. So aber waren sie allein.
»Warum hast du dann das Zeichen.« In Chakals Augen spiegelt sich der Wald, der schnelle Lauf durch die Berge, sie kann den Schweiß des gehetzten Tieres riechen. Bitter und süß zugleich. Die Fährte, der er durch die Nacht gefolgt war.
»Du weißt es«, sagt sie harsch, »du weißt, dass eine Hüterin von einer ihr verwandten Hüterin gezeichnet werden kann. Es gibt keinen Grund dafür, dass ich das Zeichen nicht haben sollte. Meine Großmutter war eine Hüterin. So wie ihre eigene Großmutter. Lass mich zufrieden, Chakal. Ich werde nicht mehr lange hier sein …«
Sie bricht ab und Chakal kommt noch näher. Er bewegt sich geschmeidig und voller Kraft. Sein Gesicht ist genau vor dem ihren, doch jetzt beginnt das Bild zu flimmern, es flimmert und sie sieht das Gesicht eines Mädchens, die weiße Haut und das rote Haar. Ihre erschrockenen Augen, als sie ihre eigenen Hände betrachtet. Hände, die voller Blut sind.
Oh Gott, denkt sie, sie ist verletzt, das hätte nicht passieren dürfen.
»Du musst JETZT gehen«, sagt Chakal und das Bild verschwindet, zieht sich zurück, aber es lauert am Rande ihres Bewusstseins.
Sein Gesicht ist so nah vor ihrem, dass sie sich abwenden muss. Der metallische Geruch lässt ihren Magen drehen.
»Cheb wird bald sterben.«
»Er ist dein Vater«, sie atmet tief durch den Mund. Die eiskalte Luft legt sich wie eine Klammer in ihre Kehle und sie fragt sich, wie dumm und verzweifelt sie sein muss, um an das Mitgefühl eines Wolfes zu appellieren.
»Und ich könnte dich schon jetzt töten«, sagt Chakal und lässt seine Hand an ihren Hals schnellen. Sie fängt sie kurz vor ihrer Kehle und hält sie fest. Noch immer spürt sie die Kraft in sich pulsieren. Die Kraft, die das Zeichen ihr vor so langer Zeit gegeben hat.
Ich kann es noch, denkt sie und Zuversicht rieselt durch ihren Körper.
Sie dreht Chakals Arm und zwingt ihn so in die Knie.
»Nicht mehr lange«, seine Augen werden schmal und dunkel, »nicht mehr lange, alte Frau.«
11
Indie
I n meinen Ohren pocht mein Herzschlag, ich sehe, wie Gabe, ohne sich umzudrehen, die Tür öffnet und verschwindet. Ich höre, wie die Tür zuschnappt, und dieser Klang hallt in meinem Kopf wider.
Er hat mich nicht gesehen.
Er liebt mich nicht. Er hat mich nie geliebt, pocht mein Herz. Das kann nicht sein. Was haben sie mit ihm gemacht, dass er mich nicht mehr liebt?
Vielleicht hat er mich noch nie geliebt, vielleicht nicht einmal da draußen am Friedhof. Vielleicht hat er sich nur vor mich gestellt, weil er wusste, dass Rag mich töten würde. Und weil er weiß, dass Azrael meine Seele braucht. Er ist nur sein Handlanger. Er wird nie wieder zu mir zurückkommen. Heftig reibe ich mir über das Gesicht, damit Kat nicht sieht, dass ich heule.
»Also gut«, sagt Kat neben mir und ihr Blick schweift über die Stadt, als könnte sie dort irgendetwas erkennen. »Wir müssen sehen, dass wir von hier wegkommen.« Sie dreht sich zu mir und sieht mich regungslos an, als würde sie auf etwas warten.
»Indie«, sagt sie scharf und packt mich am Oberarm. »Wie könnt ihr nur so unglaublich ahnungslos sein?«
Ich starre sie mehrere Herzschläge lang nur an. Beunruhigenderweise habe ich das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, obwohl ich nicht weiß, was das sein könnte.
»Ich kann deine Gedanken lesen, als hätte ich ein aufgeschlagenes Buch vor mir«, fügt sie ungehalten hinzu. »Ich kann nicht die leiseste Anstrengung von dir erkennen, dass du deine Gedanken bei dir behalten willst.«
Nach einem kurzen Moment des Schweigens setzt sie fassungslos hinzu: »Weil du es gar nicht kannst. Nicht wahr?«
Weil ich was nicht kann?, denke ich und runzle die Stirn. Von was redet sie?
»Das kann nicht wahr sein«, murmelt Kat. »Jedes Mal, wenn ich denke, schlimmer kann es
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