Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
mühsamer wird es, die Gedanken im Nebel verborgen zu halten.
Plötzlich weiß ich, dass ich es nicht schaffen kann. Irgendetwas ist stärker als die Wolke, ist stärker als mein Wille, meine Gedanken zu unterdrücken. Ich kann meinen Blick nicht von dem Vorhang abwenden, auch wenn ich versuche, es zu vermeiden. Es ist das Zimmer von Lilli-Thi, aus dem der Vorhang flattert.
Und Sam.
Es ist Sam, der hier seine Gestalt finden wird.
Ich spüre, wie mir ein einzelner Schweißtropfen von der Schläfe über die Wange rinnt. Das erste Wort, das sich in meinen Kopf bahnt, ist »Sam«.
Sam. Sam. Sam.
Dann die Erinnerung an das, was Kat gesagt hat.
Nicht stehen bleiben. Auf keinen Fall stehen bleiben.
Sam hat noch keine Gestalt, ich spüre es so deutlich, als wäre ich selbst Sam. Aber er tritt mit mir in Kontakt. Beim nächsten Schritt merke ich ein Pochen in meiner Vogelnarbe. Beim übernächsten verkrampfen sich meine Bauchmuskeln. Ein riesiges »Nein« füllt mich aus. Nein. Nein. Nein. Lass mich in Ruhe … Meine Finger umschließen die Sprossen der Leiter, können sie nicht mehr loslassen. Wie eine riesige Flutwelle spülen tausend Bilder in meinen Kopf. Sam hinter der Ladentheke. Die Tafel Schokolade. Sam auf dem Friedhof. Die Bilder werden immer dunkler, als hätte jemand tiefrote Farbe über meine Erinnerungen geschüttet. Der Vorhang flattert an mein Bein, scheint mich zu umschlingen. Ich kann nichts dagegen tun, aber je länger ich hier stehe, desto mehr spüre ich den Sog des Bösen. Desto mehr spüre ich, dass auch ich das Böse will, dass auch ich ein Teil davon bin. Werden kann.
Statt eines »Ich will nicht« füllt ein riesiges JA meinen Körper aus. Als würde mein Fuß nicht mehr zu mir gehören, sehe ich ihn riesengroß, losgelöst von mir. Bevor ich meinen Fuß auf das Fensterbrett stellen kann, verhindert dies der harte Griff von Kat an meinem Fußgelenk.
Sie denkt nichts.
Sie sagt nichts.
Sie drückt nur mein Fußgelenk so fest zusammen, dass ich beinahe aufgeschrien hätte.
Wild versuche ich, sie wegzutreten. Ich kann nicht mit ihr gehen. Ich muss das tun, was ich schon immer wollte … Ich wollte schon immer zu Sam. Sam ist meine Bestimmung, Sam ist der Einzige, zu dem ich gehören will. Sam ist die Erfüllung all meiner Wünsche und Sehnsüchte. Ohne Sam will ich nicht mehr leben.
Ich sehe nach unten auf Kat, sie sieht zu mir hinauf. Ihre Lippen bewegen sich, als würde sie sprechen, aber sie tut es nicht. An ihren Schläfen glitzern kleine Schweißtropfen wie Perlen. Mir wird übel, die Energie von Kat überschwemmt mich mit einer Hitze, die mich innerlich zu verbrennen scheint. Etwas Dunkles greift nach mir, meine Vogelnarbe pocht vor Schmerz, als würde genau in diesem Moment ein Vogel auf mir sitzen und seine glühenden Krallen in meinen Bauch klammern.
Ich. Will. Nicht.
Ich versuche noch immer, mich gegen Kats Griff zu wehren. Ich starre auf sie hinunter, etwas tief in mir drinnen hasst sie, hasst alles, was mit ihr zusammenhängt.
Miss Anderson, die Hüterinnen, Granny. Dawna.
Ich hasse sie alle.
Kat zieht mit einem Ruck an meinem Bein, ich verliere die Balance und sacke ins Leere. Für den Bruchteil einer Sekunde fühle ich mich schwerelos, dann erwische ich doch wieder die Sprossen der Feuerleiter. Mein Herz trommelt in meiner Brust. Kat steht jetzt hinter mir, als würde sie verhindern wollen, dass ich abstürze.
Dawna.
Dawna.
Dawna, wo bist du?
Dann gewinnt die Energie von Kat noch einmal an Kraft, meine Haare sind inzwischen trotz der Eiseskälte um mich herum klatschnass, denn auch mir läuft wie Kat der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Oder sind es Tränen? Plötzlich merke ich, wie Sams Macht geringer wird. Kat drückt mich gegen die Metallstreben, ihr Atem streift mein Ohr. Baut sie einen Schutzkreis auf? Was macht sie hinter mir?
Wie eine Blase kriecht von meinen Füßen etwas Positives über mich, hüllt mich ein, bedeckt mich. Das Böse atme ich aus, es wird fortgerissen von der kalten Luft.
»Wieso hat sie euch gar nichts gelehrt?«, murmelt Kat an meinem Ohr. »Wieso? Sie musste wissen, dass ihr ein Spielball des Bösen sein werdet.«
Meine Knie fangen an zu zittern.
Plötzlich kann ich wieder einen Schritt nach unten treten. Und noch einen. Mit jedem Schritt wird Sams Macht geringer und meine Schritte schneller. Kat bleibt hinter mir, als hätte sie Angst, mich auf dem Weg nach unten doch noch zu verlieren. Die letzten zwei Meter lassen wir uns
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