Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
die Ärmel ihres cremefarbenen Anoraks zurück und blickt auf ihre Armbanduhr.
»Fünf Minuten«, sagt sie und tippt auffordernd auf ihre Uhr, »wir treffen uns beim Wagen.«
»Die Schwestern werden im Orden getrennt«, sagt Miss Anderson gerade und zieht die Handbremse an.
Ich sitze nur wie erstarrt neben ihr und blicke durch die Windschutzscheibe nach draußen. Wir stehen vor den Kiesgruben. Die Temperatur ist noch mal gesunken und eine dünne Eisdecke liegt über dem See. Die alten, rostigen Förderbänder sind mit Reif überzogen. Wenn ich mich ein bisschen anstrenge, kann ich unseren Badeplatz sehen.
»Sie verbringen das Jahr ohne jeglichen Kontakt zueinander und das ist auch gut und richtig so«, fährt Miss Anderson fort, »ihre enge Verbindung zueinander lässt sie nachlässig werden. Sie verlassen sich auf die andere und verlernen so, für sich alleine zu kämpfen. Deswegen wird im Orden sehr streng darauf geachtet, dass jede für sich arbeitet. Jede Schwester bekommt eine Person an ihre Seite gestellt, die sie ausbildet. Sie schulen in dieser Zeit ihre Fähigkeiten, die Fähigkeiten, die es bedürfen. Jeder hat Schwächen.«
Miss Anderson sieht nicht aus, als hätte sie Schwächen. Allein dass dieses Wort über ihre Lippen kommt, wundert mich. Nein, seit gestern wundert mich eigentlich gar nichts mehr. Miss Anderson geht um den Ford Bronco herum und öffnet meine Tür.
»Jeder sollte seine Schwächen kennen.« Sie richtet ihre harten Raubvogelaugen auf mich. Von diesen Augen hatte ich mich täuschen lassen. Ich dachte, sie wäre eine von ihnen.
»Jeder sollte genau an diesen Schwächen arbeiten.«
Sie tritt einen Schritt zurück, ich steige aus dem Wagen und folge ihr zur Ladefläche des Bronco. Der Wind zerrt an uns und lässt Miss Andersons Rock flattern. Sonst ist es sehr still und aus meinem Mund steigen kleine, flüchtige Wölkchen. Ein seltsames, milchiges Blau liegt über der Kiesgrube und die Sonne schafft es kaum noch durch die Nebelwolken. Ich verschränke die Arme vor der Brust, aber die Kälte kriecht unbarmherzig durch meine Jacke.
»In den folgenden Tagen wirst du deine Schwächen kennenlernen«, sagt sie und öffnet die Klappe.
Auf der Ladefläche liegt einer der silbernen Koffer.
»Wir haben keine Zeit, alles zu erarbeiten, was Ernestine versäumt hat«, sie lässt die Verschlüsse der Kiste aufschnappen, »vor allem werden wir nie erreichen, was euch im Orden gelehrt worden wäre. Aber nun gut. Wir haben hier eine Arctic Warefire, ein britisches Scharfschützengewehr. Es hat spezielle Enteisungseigenschaften und ist sehr effektiv bei Temperaturen um die minus vierzig Grad …«
Ihr Blick schweift über die Eisfläche bis hinüber zum anderen Ufer, während ich nur in den Gewehrkoffer starren kann. Vier Waffen liegen dort nebeneinander. Und ein Schulterholster. Ein Holster für den Oberschenkel.
»… die wir hier wahrscheinlich nicht erreichen werden. Nichtsdestotrotz ist es sinnvoll, denn der Verschluss, der Bolzen und der Abzugsbügel dieses Gewehrs sind groß genug, dass du es, falls es vonnöten wäre, mit Fausthandschuhen bedienen kannst.« Sie nimmt das Gewehr in die Hand und repetiert es durch. »Es ist äußerst zuverlässig und funktioniert tadellos.«
»Man kann Engel nicht erschießen«, sage ich und bin erstaunt, weil sich meine Stimme so fest und laut anhört. Ganz anders, als ich mich fühle. Aber wahrscheinlich ist es nur der vereiste See und die Stille zwischen den Kiesbergen, die meine Stimme hallen lassen.
»Eine Hüterin, die in ihrer Kraft ist, kann es.« Miss Anderson legt das Gewehr auf der Ladefläche ab, dann nimmt sie die nächste Waffe in die Hand.
»Das ist eine Glock 17C. Sie ist mit einem Kompensator ausgestattet, der sie speziell bei schnellen Schussfolgen perfekt kontrollierbar macht und dir ein besseres Trefferbild ermöglicht. Außerdem besteht sie aus vierzig Prozent Kunststoff, deswegen ist sie sehr leicht und gut zu handhaben. Zieh deine Jacke aus.«
»Ich friere«, sage ich ungehalten, »ich verstehe nicht, wozu das gut sein soll. Wir sind nicht in unserer Kraft. Das ist lächerlich. Ich habe einmal versucht, einen Engel zu erschießen. Stattdessen habe ich Indie verletzt.«
»Du wirst in Kürze nicht mehr frieren«, sagt Miss Anderson, ohne auf meine Worte einzugehen. Sie nimmt das Holster für den Oberschenkel, geht vor mir in die Hocke und befestigt es an meinem Bein und meiner Taille.
»Ja, weil ich nach Hause will. Ich werde nicht
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