Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
gegen das Koppeltor. Der Schnee reicht den Pferden bis zum Bauch, als sie mich sehen, pflügen sie sich durch den Schnee, der Schwarze voraus. Sie können nicht mehr draußenbleiben. Das Wasser in der Tränke friert jeden Tag zu und ich schleppe es eimerweise zur Koppel hinüber. Der Wind heult und peitscht mir feine Schneekristalle ins Gesicht. In Sekundenschnelle hab ich das Gefühl, meine Wangen sind erfroren. Der Schwarze bleibt vor mir stehen und senkt seinen Kopf, damit ich ihm Grannys altes Hackamore überstreifen kann, die beiden Stuten stehen hinter ihm, mit geblähten Nüstern, Eis hat sich in das feine Haar rund um ihre Mäuler geklebt. Wieder drücke ich mit meinem ganzen Körper das Tor auf, die Stuten schießen an mir vorbei zum Hof hinüber und der Schwarze bäumt sich neben mir auf, weil er ihnen nachwill. Der Wind reißt meine Worte mit fort und ich beeile mich, durch den Schnee zu waten, hier hat sich ein kleiner, zertretener Pfad gebildet, mein täglicher Weg mit Heu und Wasser zur Koppel. Und mein täglicher Weg zum Schwarzen. Abends, wenn alle im Haus waren und die Kälte so unerträglich wurde, dass niemand mehr vor die Tür wollte, da schlich ich mich heimlich hinaus. Die ersten Male wich er mir aus und ich musste ihn mit Karotten und Zuckerstücken bestechen. Dann wartete er schon auf mich, stand wie gefroren am Zaun und blickte mir entgegen. Der Schwarze war die einzige Möglichkeit, Whistling Wing zu verlassen.
Die Stuten haben die Scheune erreicht, sie tänzeln auf der Stelle und lassen mir und dem Schwarzen den Vortritt. Langsam folgt er mir, behutsam setzt er jeden Schritt, als hätte er noch nie einen geschlossenen Raum betreten. Ich führe ihn in den hinteren Teil der Scheune, wo das Heu gelagert wird, warte, bis die Stuten ihm nachkommen und in den abgetrennten Teil laufen, den ich dick mit Stroh eingestreut habe. Schnell schiebe ich die Stangen hinter ihnen vor.
»Bis später«, flüstere ich.
Ich reite einen großen Bogen um die Stelle, an der Indie mit Sidney, Eve, Tara und Kat die Zufahrt zu Whistling Wing frei macht. Der Schwarze trabt mühelos durch den Schnee, ich spüre seine Muskeln unter meinen Schenkeln. Jeden Tag habe ich die letzten zwei Wochen diesen Weg auf seinem Rücken zurückgelegt, in nervöser Vorfreude. Aufgeregt. Dann voller schlechtem Gewissen, aber mit der Gewissheit, dass ich nicht umkehren werde. Niemals. Dass ich es nicht aushalten würde, auf Whistling Wing zu bleiben. Das erste Mal wollte der Schwarze nicht weg von den Stuten. Er wand sich unter mir, warf sich herum, bis ich von seinem Rücken glitt und mit dem Gesicht im Schnee landete. Ich kämpfte so lange, bis ich schweißgebadet war. Ich und er. Und irgendwann gab er nach. Er zitterte und ich spürte seinen Herzschlag unter meiner Hand, die ich beruhigend auf seinen Hals legte. Aber er brachte mich zum Bootshaus. Und dort wartete Miley und wir lagen uns in den Armen. Kurze Momente, die mich versöhnten, die mich so glücklich machten, dass ich einen neuen Tag bestehen konnte. Unsere heimlichen Treffen gaben mir Kraft, ich konnte wieder lernen. Ich lernte, zuzuschlagen und Miss Anderson zu besiegen. Ich lernte, mich unter Kontrolle zu haben, und ich hatte alle Worte in meinem Kopf, die ich brauchen würde. Manchmal spürte ich, wie Miss Andersons Blick auf mir ruhte, und ich wusste, was sie dachte. Nie haben junge Hüterinnen schneller gelernt. Aber würde es reichen?
Am schwersten fiel mir, nicht mit Indie zu sprechen. Mein Ärger war verraucht und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als mit ihr zu reden.
»Die Schwestern dürfen in diesen sieben Tagen keinen persönlichen Kontakt zueinander haben, bis das Reinigungsritual vollzogen ist.« Kats Stimme war eindringlich gewesen. Und in ihren Augen las ich: Wir versuchen es, auch wenn es sinnlos ist. Auch wenn niemand kommt, um euch zu zeichnen.
Der Schwarze reißt mich aus meinen Gedanken. Durch den Schneesturm kann ich das Bootshaus sehen. Da ich zu Pferd nicht übers Eis kann, habe ich mir einen Weg durch den Wald gebahnt und erreiche das Haus von der Rückseite. Der Schwarze stemmt seine Hufe in den Boden.
»Was ist?«, sage ich und beuge mich über seinen Hals.
»Los. Es sind doch nur noch ein paar Meter.« Trotz meines schmeichelnden Tonfalls macht der Schwarze ein paar Schritte rückwärts. Er wirft den Kopf zurück, setzt sich fast auf sein Hinterteil und ich springe von seinem Rücken. Ich will ihn nicht hier, hundert Meter vor dem
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