Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
unter Schmerzen krümmte. Dann kam Kat. Ohne sie hätten wir Indie verloren. Ich fühle mich so nutzlos wie noch nie in meinem Leben. Ich möchte Indie festhalten, sie schützen. Ihr verzeihen. Nichts wünsche ich mir mehr als das.
»Sprich sie nicht an«, zischt mir Kat zu, als hätte sie meine Gedanken gelesen, und ich zucke erschrocken zurück.
Der ganze Raum dampft, die Scheiben sind beschlagen, das Reinigungsritual, das mich mit Ruhe und Leichtigkeit gefüllt hat, hätte Indie beinahe umgebracht.
»Das war nicht so vorgesehen«, sagt Miss Anderson, als sie meinen Blick bemerkt.
Indie schwankt zwischen den beiden Frauen wie eine leblose Gliederpuppe. Ihre Augen sind weit aufgerissen, aber ich bin mir sicher, dass sie mich nicht erkennt. Sie blickt durch mich hindurch. Keine Ahnung, was sie sieht und wann sie wieder bei vollem Bewusstsein sein wird.
»Es wäre fast missglückt«, flüstert Kat und greift nach einem Handtuch, das sie dann Indie um die Schultern legt. Sie bedeutet mir, einen Bademantel anzuziehen. Ich suche so lange, bis ich Grannys finde. Er ist bodenlang und über und über mit Rosen bedruckt. Als ich ihn überziehe, fühle ich mich etwas besser. Indies Kopf kippt nach vorne, doch Miss Anderson reißt sie unerbittlich nach oben.
»Miss Indiana Spencer«, fährt sie Indie an, »Du musst wach bleiben!«
»Was wird nun geschehen?«, frage ich, weil ich es nicht mehr aushalte, untätig herumzustehen.
Ich weiß genau, was geschehen wird. Drei Tage keinen Schlaf. Drei Tage kein Essen. Nur so viel Wasser, dass man am Leben bleibt. Dann ein Tag des Schlafs, während die Hüterinnen beten ohne Unterlass. Sie knien neben uns auf dem Boden, sie schaffen einen heiligen Raum, der die jungen Hüterinnen stärkt und schützt. Der Schlaf soll traumlos und vollkommen sein, lang und belebend. Auch die Hüterinnen essen nicht und trinken nicht. Sie schlafen nicht. Vierundzwanzig Stunden lang. Wenn man das überstanden hat, ist man bereit für die Initiation. Wenn man es nicht übersteht, muss man den Orden verlassen. Man selbst und die Schwester. Und es gibt immer wieder Hüterinnen, die diese Zeit nicht überstehen. Die aufgeben, die der Durst, der Hunger und der Schlafmangel in den Wahnsinn treiben.
»Wir bringen sie in Kats Zimmer«, macht Miss Anderson weiter. Sie drückt die Tür auf und die beiden Frauen schleppen Indie über den Flur. Sie setzt mühsam einen Fuß vor den anderen, als hätte sie die Fähigkeit zu laufen vollkommen eingebüßt. Ich tappe hinterher, der Saum des Bademantels schleift über die Holzdielen. Ich fühle mich wie in einem verwirrenden Traum, alles geschieht in Zeitlupe, Indies nackten Beine vor mir, ihr rotes Haar, tropfend vor Nässe, und Kat und Miss Anderson, die sie in Kats Zimmer bugsieren. Kat trocknet sie ab und Indie lässt es geschehen, als hätte sie keinen eigenen Willen mehr. Miss Anderson nimmt mich zur Seite.
»Ihr werdet die nächsten drei Tage getrennt voneinander verbringen. Kat behält Indie hier. Wir treffen uns später in meinem Zimmer.«
Wieder machen mir ihre Worte Angst. Ich habe Angst vor dem, was mich erwartet und was mit Indie passiert, wenn ich sie hier alleine zurücklasse.
»Du musst keine Angst haben.« Miss Andersons Stimme wird etwas weicher. »Ihr habt gut gelernt. Beide.«
Sie trägt einen grau melierten Jogginganzug, der an der Vorderseite völlig durchnässt ist. Ihr Haar ringelt sich an den Schläfen. Energisch zieht sie mich noch ein Stück von den anderen weg, zu dem kleinen Nähtisch, der am Fenster steht. Der Schnee hat sich fest an den Rahmen des Fensters gebacken und noch immer ist kein Ende des Schneefalls in Sicht. Hier hat Granny früher gesessen. Hier hat sie die Löcher in unseren Jeans geflickt. Die Quilts genäht. Hier hat sie nach draußen geblickt und gehofft, die Zukunft würde Gutes bringen.
Miss Andersons Haar hat sich aus ihrem festen Dutt gelöst, es ist schulterlang und hellbraun. Ich bin überrascht, wie jung sie plötzlich wirkt. Sie sieht aus, als könnte man sie mögen, wenn man es wirklich will. Erschöpft atmet sie einmal tief ein und aus, legt mir die Hände auf die Schultern und einen kurzen Moment spüre ich etwas wie Vertrauen zwischen uns. Das Vertrauen zwischen Schüler und Lehrer. Zwischen zwei Menschen, die denselben Weg gehen. Hinter uns schlüpft Indie in einen von Kats One-piece-Overalls. Ihre Bewegungen sind müde und abgehackt. Kat zieht den Reißverschluss zu.
»Was ist mit eurer Mutter?«,
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