dark canopy
gesprungen.
Morgens aßen wir zusammen, danach brachte ich unser Geschirr weg und half der stummen grauen Frau in der Küche beim Abwaschen. Niemand hatte mich darum gebeten, aber keiner schickte mich fort, und so arbeiteten wir bald wie aufeinander abgestimmt. Ich wusste, dass sie reden konnte - Neél hatte es mir erzählt. Zu Anfang hatte es mich irritiert, dass sie nie ein Wort zu mir sagte und auch auf meine Ansprache kaum reagierte, aber Tag für Tag fühlte ich mich wohler in ihrer Nähe und vergaß irgendwann meine Bemühungen, sie zum Sprechen zu bewegen. Wir schwiegen gemeinsam und ich merkte, wie entspannend das sein konnte. Es war angenehm, dass sie mich nie drängte, etwas Falsches zu sagen, denn manchmal schien alles falsch in dieser Welt, in die ich nicht gehörte. Ebenso wenig wie sie. Vielleicht war das ja der Grund, aus dem sie schwieg.
Nach der Arbeit erkundete ich das Gefängnis. Ich durfte mich in den Gängen frei bewegen, achtete aber trotzdem darauf, möglichst wenigen Varlets über den Weg zu laufen, denn meist verspotteten sie mich. Die anderen Soldaten beäugten mich mit Misstrauen und grüßten mich allenfalls einsilbig. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Keiner von ihnen hatte meine Freiheiten. Ich flüchtete mich in Gänge, in denen ich allein war, und trainierte das Zurechtfinden mit verbundenen Augen. Später skizzierte ich die Gänge, durch die ich gegangen war. Diese Momente waren dieser Tage die einzigen, in denen ich eine Verbundenheit mit Matthial verspürte. Manchmal erschreckte mich sein Name, wenn mir auffiel, wie lange ich ihn nicht ins Leere geflüstert, wie lange ich nicht an ihn gedacht hatte. Vergaß ich Matthial? Wurde ich so unmenschlich und gefühlskalt wie die Percents, in deren Mitte ich lebte? Was passierte mit mir?
Ich kannte das Gefängnis inzwischen besser als mich selbst. Immer dieselben Gänge, Winkel und Abzweigungen. Dieselben steinernen Treppen, immer mit der gleichen Anzahl symmetrischer Stufen, so oft ich sie auch zählte. Beständig. Warum war ich nicht so?
Wenn ich an dem Punkt ankam, an dem meine Stimmung ohnehin nicht mehr tiefer sinken konnte, nahm ich das Training mit dem Messer auf. Meine Fortschritte konnte man mit viel gutem Willen als existent bezeichnen, aber das war es auch schon. Mein Geschick beim Werfen war Vergangenheit. Früher hätte ich auf eine pochende Arterie zielen können. Heute war ich froh, wenn ich die Zielscheibe traf. Die Wand in meinem Zimmer hatte Dutzende von kleinen Löchern; Stellen, an denen die Waffe den Putz herausgeschlagen hatte. Manchmal versuchte Neél, witzig zu sein, und markierte das Datum neben diesen offensichtlichen Beweisen meiner Unfähigkeit.
Ich hatte mein Unterhemd, mein letztes Kleidungsstück, das in Handarbeit von Rebellen statt von Maschinen gefertigt worden war, um die Hälfte gekürzt. Es reichte mir nun nur noch bis knapp über die Brust. Den unteren Teil hatte ich in Streifen geschnitten und um den Messergriff gewickelt. Dasselbe hatte Penny damals für mich getan, damit mir die Waffe nicht aus der Hand rutschte, wenn meine Hände schwitzten. Ich war weniger geschickt mit dem Stoff als meine Schwester und so erreichte ich kaum eine Verbesserung. Aber den Stoff und die Waffe gleichzeitig in der Hand zu halten, motivierte mich. Es erinnerte mich wieder daran, wer ich war. Eine Rebellin.
Ich hatte das Werfen mit der rechten Hand schon einmal, von klein auf, geübt. Es sprach nichts dagegen, dasselbe nun mit der linken zu lernen.
Ich war das Messermädchen. Und ich würde es bleiben.
• • •
Ich musste Neél nicht an sein Versprechen erinnern, Kontakt zu Amber aufzunehmen. Er würde es nicht vergessen, da war ich mir sicher.
Als es so weit war, wechselte er kein Wort mit mir darüber - vielleicht, um mir die Enttäuschung zu ersparen, falls es doch nicht klappen würde -, aber ich spürte, was er vorhatte. Die Gewissheit vibrierte in meinen Knochen und stach bei jedem Schritt durch die beleuchteten Straßen in mein Herz. Wir gingen zu Amber.
Neél brachte mich zu einer Bar in einem Viertel, von dem sich vernünftige Leute fernhielten. Es war nicht weit vom Hotel entfernt, doch der Wind schien hier ein anderes Lied zu singen. In den frei stehenden kleinen Häusern, jedes gesäumt von einem brachliegenden Garten, lebten ausschließlich Percents der niederen Arbeiterklasse. Nur ungern und bis in die letzte Faser angespannt, ging ich durch diesen Stadtteil. Die Fassaden waren mit vulgären
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