Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
durch und drängte die Stimme aus seinen Gedanken. Unsinnig oder nicht, ich muss es wenigstens versuchen, sagte er sich. Seine Hände wurden auf einmal ganz warm. Doch der kleine Körper des Hamsters blieb kalt. Ephrion konzentrierte sich noch mehr. Aber nichts geschah.
Ephrion gab seinem kleinen Bruder den Hamster seufzend zurück. «Tut mir leid, Nicolo», murmelte er, und schweren Herzens fügte er hinzu: «Sollen wir ihn hinter dem Haus begraben?»
Nicolo presste die Lippen aufeinander und schluckte den Kloß hinunter, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Er nickte tapfer. Sie erhoben sich, wickelten Mimi sorgfältig in ein Tuch und trugen ihn aus der Wohnung. Sie stiegen die Stufen aus dem fünften Stock hinunter, verließen den Wohnblock und liefen ein Stück der Mauer entlang. Dann gruben sie mit den Händen ein Loch in die Erde, Nicolo küsste Mimi ein letztes Mal zärtlich auf den flauschigen Kopf und legte den Hamster behutsam hinein.
«Mach’s gut, Mimi», flüsterte er, und eine einzelne Träne kullerte ihm über die Wange. Sie bedeckten das Tierchen mit lockerer Erde, und Ephrion zupfte ein Kleeblatt aus dem Boden und legte es an das Kopfende des kleinen Grabes.
Siehst du?, meldete sich die Stimme in seinem Kopf zurück. Hab ich es nicht gesagt? Deine Kräfte reichen gerade mal aus, um einen Schmetterling zu heilen. Lachhaft. Und überhaupt: Wozu soll das eigentlich gut sein? Du bist echt ein Versager, Ephrion. Nichts weiter als eine fette Tonne.
Ephrion versuchte, die Stimme zu ignorieren, aber es gelang ihm nicht. Sie hatte ja Recht. Er war nichts Besonderes und würde nie etwas Besonderes sein. Ein Schmetterlingsheiler , dachte er beschämt, während er mit gebeugten Schultern, die Hände in den Hosentaschen vergraben, seinen Bruder zurück zum Eingang begleitete, als könnte ich damit irgendetwas ausrichten in dieser Welt.
Und so verließ er Mimis Grab, ohne auch nur einmal zurückzuschauen. Doch hätte er es getan, hätte er nur ein einziges Mal zurückgeschaut, hätte er eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Denn dort, genau dort, wo er soeben all seine Hoffnung begraben hatte, geschah etwas Unglaubliches:
Die Erde bewegte sich …
38
«Könnte uns mal jemand ablösen?», meldete sich Joash aus dem Heck der Nussschale. Seine Stirn glänzte vor Schweiß. «Ephi und ich paddeln bestimmt schon eine Stunde.»
«Kein Problem», sagte Sihana, steckte die Feile, mit der sie ihren abgebrochenen Fingernagel abgeschliffen hatte, in ihre Tasche und balancierte sich etwas ungelenk nach hinten, um mit Joash den Platz zu tauschen. «Aber pass auf, dass wir nicht gleichzeitig auf derselben Seite stehen, sonst bringen wir das Boot am Ende noch zum Kippen.»
«Hast du gehört, Dicker?», nahm Miro den Faden auf, während er über eine Sitzbank in den Bug kletterte. «Versuch schön in der Mitte zu bleiben, ja? Wenn du dein Gewicht zu stark auf eine Seite verlagerst, sind wir Fischfutter.»
Während Aliyah und Nayati in der Mitte des Bootes sitzen blieben, balancierten sich Joash und Sihana geschickt aneinander vorbei, und Ephrion und Miro taten dasselbe. Miro und Sihana übernahmen das Paddeln, und Joash und Ephrion ließen sich einander gegenüber auf den mittleren beiden Sitzbänken nieder.
Joash fühlte sich gar nicht gut. Ihm war schwindlig, und seine Stirn war glühend heiß. Den ganzen Tag hatte er dank der Euphória-Pillen keinerlei Schmerzen empfunden. Doch jetzt brannte seine Brust derart, dass er glaubte, jemand hätte mit einem Messer in seinem Inneren gewütet. Er erinnerte sich nur vage an die Flucht aus Pinzkrit, aber an die Nacht davor erinnerte er sich nur allzu gut. Er wollte die schrecklichen Bilder aus seinem Kopf verbannen, aber sie hatten sich unauslöschlich in seinen Gedanken festgekrallt. Er versuchte sich einzubilden, es wäre alles nur ein böser Traum gewesen. Aber jedes Mal, wenn er auf seine Hände blickte, sah er Blut, und Aliyahs Worte drehten sich immer und immer wieder in seinem Kopf.
Rot. Ich sehe rot … Alles ist rot. Joash! Bitte nicht! JOASH! Ihre Stimme brachte ihn beinahe um den Verstand. Sie hatte es vorausgesagt. Sie hatte gewusst, dass es passieren würde, und hatte ihn versucht zu warnen. Warum hab ich nicht auf sie gehört? , dachte er die ganze Zeit. Was hab ich bloß getan?!
Sein Gewissen nagte an ihm. Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und betastete vorsichtig seinen Brustkorb. Die Schmerzen waren kaum zu ertragen. Er hatte
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