Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
Augen die schwarze Oberfläche ab, konnten aber nichts Auffälliges erkennen.
«Ich glaube, das hast du dir nur eingebildet», meinte Miro. «Hier ist nichts. Zudem denke ich nicht, dass ein Monster …»
«Da!», rief Aliyah erneut und wirbelte herum. Sie hatte es ganz deutlich gehört. Ein Wispern und Säuseln, das irgendwo aus dem Nebel kam. «Sie ist es», hauchte Aliyah. «Sie hat uns gefunden!»
Der Geruch nach Schwefel wurde intensiver. Zitternd klammerten sich die Jugendlichen an ihre Sitzbänke. Die Nackenhaare standen ihnen zu Berge. Und wie sie in die Stille hineinlauschten, hörten sie es auch. Worte, so leise wie ein Lufthauch, in einer Sprache, die sie nicht verstanden.
«Aláium nusséli atayuri ohlém.»
Sie hätten nicht sagen können, aus welcher Richtung die Worte kamen. Mal kamen sie von rechts, dann wieder von links. Mal schienen sie von oben auf sie herabzusegeln, dann aus dem dunklen Wasser zu ihnen hochzuschießen.
«Monáhim betrúle onéiam assah!»
Die Worte klangen wie ein Gesang, zart und flauschig wie ein Federkissen und gleichzeitig so giftig wie ein Schlangenbiss. Sie umkreisten das Boot, zogen an ihnen vorbei und verloren sich irgendwo in der Dunkelheit in einem geheimnisvollen Raunen.
«Sota’ham endémi yokitu belàm!»
Es war unheimlich, und keiner der fünf Jugendlichen traute sich auch nur einen Mucks zu machen, während die Stimme sie einlullte.
Und dann, wie aus dem Nichts, tauchte sie auf: Eldora, die Herrscherin der Sümpfe. Auf alles waren die Freunde gefasst gewesen, nur nicht auf das, was ihnen auf dem Wasser entgegenkam: Eldora war kein Monster. Sie war eine wunderschöne schlanke Frau mit langem blondem Haar, das schimmerte wie gesponnenes Gold. Ihre Haut war weiß wie Porzellan, ihre Lippen rot wie Blut, ihr Gang geschmeidig wie der einer Katze. Sie trug ein langes weißes Kleid mit weiten Ärmeln und einen seidenen Schal. Der Wind spielte in ihrem Haar und umwehte ihr wallendes Kleid. Sie war barfuß und ging auf der Wasseroberfläche, als wäre es fester Boden. Es funkelte und glitzerte um sie herum, als wäre sie in einen Sprühregen aus Milliarden winzigster Kristalle gehüllt. Mit wehendem Schal kam sie auf das Boot zu, ein Lächeln auf den roten Lippen.
«Onássam kitaura onéssam melóhim!», sang sie betörend.
Aliyah spürte, dass sie ihnen entgegenkam, und obwohl sie sie nicht sehen konnte, schnürte es ihr die Luft ab.
«Ihre Augen», flüsterte sie mit erstickter Stimme. «Bei Shaíria, ihre Augen!»
Doch es war bereits zu spät. Miro, Joash, Ephrion und Sihana starrten Eldora berauscht an, geblendet von ihrer unwiderstehlichen Schönheit und ihrem verführerischen Gesang. Und bevor sie überhaupt dazu kamen, ihrem Blick auszuweichen, hatten ihre Augen sie bereits in ihren Bann gezogen. Es waren die strahlendsten Augen, die sie jemals gesehen hatten. Ihre Iris waren zwei geschliffene Diamanten von unendlicher Pracht. Sie leuchteten wie zwei Sterne und schillerten in tausend Farbschattierungen von Marineblau bis Blauschwarz.
Singend umsponn Eldora ihre Opfer. Aliyah hörte ihre orakelhafte Sprache, und auf einmal verstand sie jedes einzelne Wort davon.
«Aláium nusséli atayuri ohlém!», erklang ihr schauerlicher Gesang durch die Nacht, und Aliyah graute es, als sie gleichzeitig die wahre Bedeutung erkannte.
«Tut es nicht!», rief Aliyah entsetzt. «Hört nicht auf sie!»
Niemand antwortete ihr. Aliyah spürte, dass etwas nicht stimmte. Sie packte Ephrion, der gleich neben ihr saß, am Arm. «Was ist los, Ephrion? Was passiert hier? Du hast ihr doch nicht in die Augen gesehen? Ephrion! Rede mit mir!»
Aber Ephrion hörte sie nicht. Er nahm das blinde Mädchen gar nicht mehr wahr. Nichts um ihn herum war noch von Bedeutung, weder Aliyah noch Sihana, Joash, Miro, Nayati, nicht einmal das Boot. Er hatte nur noch Augen im Kopf für dieses wundersame Geschöpf auf dem Wasser und Ohren für diese bezaubernde Stimme, die über dem Sumpf schwebte.
«Monáhim betrúlle onéiam assah», sagte sie sanft, doch was Ephrion hörte, war etwas ganz anderes:
«Ich kenne dich, Ephrion. Ich weiß, wie sehr du leidest. Alle lachen dich aus, sie verspotten dich, sie nennen dich Tonne und gehen dir aus dem Weg. Oh, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Aber das muss nicht sein. Ich kann dir helfen. Ich kann dir all das geben, wonach du dich sehnst: Ich kann dich beliebt machen. Du wirst kein Außenseiter mehr sein. Alle werden dich mögen. Jeder möchte
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