Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
Anstand beigebracht.»
«Aber das mit den Läusen stimmt nun mal», rechtfertigte sich Miro. «Oder sag mir, dass es nicht stimmt, Dicker.»
Jetzt meldete sich Aliyah mit ihrer sanften Stimme zu Wort. «Ich finde, wir sollten versuchen, miteinander auszukommen, anstatt aufeinander rumzuhacken. Keiner von uns hat sich ausgesucht, in welchem Umfeld er aufwächst. Und trotzdem hat uns das Schicksal heute zusammengeführt. Warum ausgerechnet uns, das fragen wir uns bestimmt alle. Wir sind so verschieden, wie man nur verschieden sein kann. Aber ich bin trotzdem dafür, dass wir versuchen, Freunde zu werden. Feinde werden wir noch mehr als genug antreffen.»
«Aliyah hat Recht», stimmte ihr Katara zu. «Und ich finde, Miro, du solltest dich bei Ephrion entschuldigen.»
«Phh», machte Miro und streckte die Nase in die Luft. «Ich habe nur die Wahrheit gesagt.»
«Du hast ihn verletzt, mit Absicht.»
«Ich sage nun mal offen, was ich denke. Ist das etwa ein Verbrechen?»
«Miro!», knurrte Katara und sah ihn so eindringlich an, dass er glaubte, sie würde ihm jeden Moment an die Kehle springen wie ein Raubtier.
«Na schön», brummte Miro, und ohne Ephrion dabei in die Augen zu sehen, murmelte er: «Es tut mir leid, Dicker.»
«Und sein Name ist Ephrion», ergänzte Katara zischend.
«Ist schon in Ordnung», winkte Ephrion ab, während er Miro kameradschaftlich das offene Tuch mit den Schokolade-Zimt-Keksen entgegenstreckte, «ein Versöhnungskeks gefällig?»
«Nein, danke», grummelte der rothaarige Junge und wich Ephrions Blick bewusst aus. Ephrion zuckte die Achseln und nahm dafür selber eines der Plätzchen.
«Sonst noch jemand?»
Aliyah nahm ebenfalls einen Keks, dann klappte Ephrion das Tuch zu und verstaute das Gebäck sorgfältig in seiner Tasche. Nayati, der bisher hechelnd neben Aliyah auf dem Boden gelegen hatte, stand plötzlich auf und spitzte die Ohren.
«Was hast du?», fragte das blinde Mädchen.
Nayati gab einen seltsamen Laut von sich, den Aliyah noch nie zuvor gehört hatte, dann tappte der Wolf zielstrebig auf Katara zu und stupste sie am Bein.
«Was ist denn?», fragte Katara. Der Wolf deutete mit seiner Schnauze in die Ferne. Katara kniff die Augen leicht zusammen und spähte angestrengt in die angegebene Richtung. Zuerst sah sie nichts als steile Felswände. Doch dann entdeckte sie etwas.
«Ich glaube, ich sehe sie!», verkündete sie. «Ich glaube, ich sehe die Grolchenhöhle.» Sie streckte die Hand aus, um den anderen die Höhle zu zeigen, doch natürlich konnten die andern in der trüben Nebelsuppe nichts erkennen.
«Dort über dem Felsen, der aussieht wie eine Hakennase. Ich sehe sie ganz deutlich. Vor dem Eingang ist eine flache Felsplatte, vielleicht zwanzig Ellen breit.»
Miro schaute das Mädchen verwundert an. «Wie kannst du etwas erkennen? Ist doch nichts als Nebel um uns herum.»
Katara lächelte. «Hab ich es nicht erwähnt? Ich kann durch den Nebel hindurchsehen.»
«Wie bitte?», fragte Miro ungläubig.
«Und sie sieht im Dunkeln», ergänzte Ephrion.
«Aber nur schwarz-weiß», schwächte Katara ihre Fähigkeit etwas ab. Miro glaubte ihr kein Wort.
«Du willst mich auf den Arm nehmen. Kein Mensch sieht durch diesen Nebel hindurch, geschweige denn im Dunkeln.»
«Kein Mensch kann einen kaputten Wecker in einer Minute wieder zum Ticken bringen», entgegnete Katara keck.
«Ich hab mir einfach vorgestellt, es wäre ein dreidimensionales Puzzle», sagte Miro achselzuckend, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. «Ich hab ein fotografisches Gedächtnis. Ich kann mir Dinge einprägen und erinnere mich noch Jahre später an jedes Detail.»
«Moment mal.» Aliyah wirbelte auf einmal herum und hob ihren Zeigefinger. «Vielleicht ist es das, was uns alle verbindet: Jeder von uns besitzt eine herausragende Fähigkeit. Katara sieht im Dunkeln und durch den Nebel hindurch. Miro hat ein fotografisches Gedächtnis. Auch ich habe eine Gabe. Ich kann Dinge spüren.»
«Wie meinst du das?», fragte Katara.
«Ich kann es nicht erklären. Es ist so eine Art sechster Sinn. Als meine Mutter noch lebte, sagte sie mir, ich würde mit dem Herzen sehen.»
«Und was ist mit dir, Ephrion?», fragte Katara neugierig. Der Junge zupfte an einem Moosbüschel herum und wirkte auf einmal nervös.
«Was soll schon mit mir sein?»
«Deine Gabe. Was ist deine Gabe?»
«Ich habe keine.»
«Du lügst», sagte Miro. «Ich habe genau gehört, was das Mütterchen zu dir
Weitere Kostenlose Bücher