dark destiny
unzufrieden wie noch nie in diesem Winter. Wenn Rebellen kommen, dann schließen sie sich denen sofort an.«
»Blödsinn.«
»Du hast ja keine Ahnung.«
»Wir werden ja sehen. Mit den Waffen können wir unsere Wohnungen schützen, wenn es so weit ist. Machen wir uns also nicht in die Hosen.«
Ich hörte Schritte, die in meine Richtung kamen. Nun war es allerhöchste Zeit, das Weite zu suchen. Mucksmäuschenstill verließ ich das Haus und versteckte mich hinter einer Mauer. Nur keine Panik, Joy. Nachdem sich mein Puls wieder beruhigt und ich das Zittern meiner Hände in den Griff bekommen hatte, tauchte ich wieder in die Straßen der Stadt ab, wo ich mich ziellos treiben lassen und meine Gedanken sortieren konnte.
Diese Männer, scheinbar einfache Percents, die nicht dem Militär angehörten, befürchteten einen Rebellenaufstand und rüsteten sich. Zwischen meinen Schulterblättern prickelte es immer noch heiß und kalt.
Ein Rebellenaufstand.
Wie wunderbar hatte ich mir als junges Mädchen einen großen Kampf für unsere Freiheit vorgestellt. Und wie schrecklich erschienen mir meine naiven Fantasien heute.
Ein Krieg hatte die Kraft, das kleine bisschen Sicherheit zu zerstören, das ich mir mühsam aufgebaut hatte.
• • •
Ich sprach mit Neel über meine Beobachtungen, aber er winkte ab. Wie einer der Percents, die ich belauscht hatte, hatte auch er bisher in jedem Winter von aufständischen Rebellen gehört. Passiert war nie etwas.
»Wir sind immer vorsichtig, Joy«, flüsterte er mir zu. »Mehr können wir nicht tun.«
Morton sah die Sache anders. Ich erwähnte die Rebellen nur beiläufig, da wurde er schon fahrig und begann zu brüllen: »Vermaledeites Gesindel! Ich habe keine Ahnung, wie ich über den beschissenen Winter kommen soll, wegen denen.«
»So?«, spottete ich. »Sind heute mal die Rebellen schuld?« Für Morton war jeden Tag jemand anders für seine kläglichen Einnahmen verantwortlich. Auch schien es für ihn ausschließlich schlechte Tage zu geben, ich hatte noch nie erlebt, dass er zufrieden war.
»Was denkst denn du, du dummes Weibsstück. Die Männer trinken weniger, weil sie jederzeit mit einem Angriff rechnen müssen.«
»Morton, die Leute trinken weniger, weil sie keine Münzen übrig haben.«
»Quatsch. Für Alkohol sind immer Münzen da.«
»Aber -«
»Red nicht, wenn du keine Ahnung hast.«
Damit war das Thema vom Tisch und mein Versuch eines klärenden Gesprächs hatte mir nichts gebracht, außer einem schlecht gelaunten Chef und der Gewissheit, dass dieser ebenfalls an Krieg dachte.
Ich gab mir alle Mühe, der nagenden Sorge, es könnte tatsächlich zu einem Angriff kommen, keine Bedeutung beizumessen, aber es gelang mir nicht recht. Vielleicht hatte ich dafür einfach noch nicht genug Winter in der Stadt gelebt.
• • •
»Würdest du es mir verzeihen«, fragte Neel an einem Vormittag, ehe er zur Arbeit aufbrach, »wenn ich dir etwas verschwiegen hätte?«
»Du hast doch eine andere Frau?«, neckte ich ihn und klopfte Schmutz von seinem Pullover. Das Kleidungsstück war in der Eile der Nacht sorglos auf dem Fußboden gelandet und sah aus, als hätte Neel damit im Staub geschlafen.
Er lachte nicht. »Ich fürchte, es ist bedeutsamer.«
Seine ernsten Worte ließen mich trocken schlucken. »Lass hören.«
»Ich habe ... Ach, wie soll ich es sagen? Ich habe deinen Vater gefunden, Joy.«
Er hatte ... was, bitte? Meinen ... Vater? »Wie - du hast meinen Vater gefunden? Und wieso? Warum gehst du einfach los und suchst meinen Vater, ohne mich zu fragen, ob mir das überhaupt recht ist?«
Er winkte ab und irgendetwas an seiner Geste erschien mir einerseits unaufrichtig und andererseits ehrlich. »Ich bin ihm bloß zufällig über den Weg gelaufen.«
»Du musst dich irren.« Ich konnte nicht glauben, dass mein Vater überhaupt noch am Leben sein sollte.
»Ausgeschlossen«, erwiderte er, es klang wie eine Entschuldigung. »Er war es. Und er würde dich gerne sehen, glaube ich.«
Mein Vater. Der mit mir aus der Stadt geflohen war vor so langer Zeit. Der mir beigebracht hatte, wie man einen Pfeil schnitzte und warf. Der mir das Rebellenlicht gezeigt hatte. Und ... der mich verlassen hatte, nachdem meine Mutter gestorben war, als ich ihn so dringend gebraucht hätte.
Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn sehen wollte. Für einen Moment wollte ich ihn so wenig sehen, dass es mich drängte, aus der Stadt zu fliehen. Dann wollte ich alle Umstände erfahren und fragte
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