dark destiny
verlang-
Worüber grübelst du nach? Es schien nichts Angenehmes zu sein, was seine Gedanken beschäftigte. Doch was ich ganz bestimmt sagen konnte, war: Neel war nicht verliebt. Ich wusste, wie er aussah, wenn er verliebt war. Es wirkte eher, als läge ein dichter Schatten, eine Wolke oder ein ganzes Himmelszelt aus schweren Wolken über ihm. Hatte Graves mich angelogen? Aber warum?
Ich wollte zu ihm gehen, aber meine Füße waren zu schwer, um sie vom Boden zu heben. Graves hatte Neel nicht erzählt, dass ich hier arbeitete, sonst hätte er sich längst nach mir umgesehen. Hatte ich das Recht, mich ihm zu zeigen, in seine Welt einzudringen? Und was sollte ich tun, wenn er mich abwies?
All meine Pläne erschienen mir plötzlich naiv und nicht durchdacht. Was tat ich hier?
»Joy!«, brüllte Morton durch die Bar und riss mich brutal aus meinen Zweifeln. »Joy! Beweg deinen Arsch!«
Neel zuckte zusammen, hob den Kopf, entdeckte mich, sah mich an ... Ich konnte geradewegs in seine anthrazitfarbenen Augen sehen. Augen wie Steine - genau wie früher. Sein Blick prickelte in meinem Bauch, brannte sich in mein Herz.
»Neel«, wisperte ich, ohne einen Schritt nach vorne zu tun. Ich wollte lächeln, aber mir gelang nur eine verkrampfte Grimasse. Von einem auf den anderen Moment wurde es eiskalt an meinem Bauch, an meinem Schoß und an meinen Oberschenkeln. Aber erst als es zu meinen Füßen schepperte, schaffte ich es, meinen Blick von Neel loszureißen und nach unten zu schauen. Ein Krug war vom Tablett gerutscht, heruntergefallen und zerbrochen. Schamesröte schoss in mein Gesicht und ich bückte mich rasch, um die Scherben aufzuheben.
Als ich wieder aufsah, war der Stuhl, auf dem Neel gerade noch gesessen hatte, leer.
Er war fort, als wäre er nie hier gewesen. Nur der beißende Geruch des Gebrannten auf meiner Kleidung bewies, dass er da gewesen war. Und dass Graves wohl recht gehabt hatte.
Er wollte mich tatsächlich nicht sehen.
23
manches lässt sich nur durch den nebel erkennen.
Neel ging äußerst beherrscht die Straße hinab. Die meisten Fenster waren bereits dunkel. Schwarz und kalt lag die Nacht auf der Lauer. Selten, dass sie so endgültig schien.
Er wusste, dass Joy ihm nicht nachlaufen würde, und genau das ließ ihn lächeln und gleichzeitig die Faust ballen und die Stille mit einem Hieb gegen eine Mauer zerschlagen.
Warum war er weggelaufen? Was war nur in ihn gefahren? Sie war zurückgekommen und tausend Fragen verlangten nach Antwort. Hatte man sie gefangen genommen? Oder war sie freiwillig in die Stadt zurückgekehrt? Möglicherweise ... wegen ihm?
Er hatte sich so sehr gewünscht, sie wiederzusehen, hatte mit dem Gedanken gespielt, das Rebellenland zu durchkämmen und nach ihr zu suchen. Doch das, was heute geschehen war, hatte ihn so sehr niedergeschlagen, dass ihm selbst dieser sich nun erfüllende Traum den Boden unter den Füßen wegzog, seine Welt erschütterte. Es war so viel zu tun, dass er nicht mehr wusste, wo er anfangen sollte. Und genau jetzt kam Joy?
Er musste eine neue Bleibe finden, wenn er nicht frieren wollte; eine Arbeit, wenn er nicht schon morgen erfahren wollte, was Hunger bedeutete. Und er musste noch etwas anderes finden. Cloud hatte ihn großgezogen, ihn von Kindesbeinen für etwas Bestimmtes vorgesehen. Cloud zu verlieren bedeutete, seine Vergangenheit zu verlieren. Sich selbst. Denn worauf baute man eine Gegenwart und schließlich eine Zukunft, wenn nicht auf eine Vergangenheit? Was er finden musste, war sich selbst.
Doch was er gefunden hatte, war Joy. In ebenjenem Moment, als er gerade dankbar dafür gewesen war, dass sie seine Schande nicht miterlebte.
Wundert dich das? Joy taucht doch immer genau dann auf, wenn du gerade glaubst, dass du sie nicht gebrauchen kannst. Und dann zeigt sie dir, dass du dich geirrt hast.
Neel blieb stehen. Sie würde ihm nicht nachlaufen. Dafür war sie zu stolz. Aber auch er konnte nicht ins Mondlicht zurückgehen, ohne das Gesicht zu verlieren. Um ehrlich zu sein, hatte er das bereits, indem er albern vor ihr fortgelaufen war. Denn vielleicht war sie überhaupt nicht freiwillig in die Stadt zurückgekommen und er interpretierte viel zu viel in ihr Erscheinen hinein. Doch wenn er sie nicht fragte, würde er ewig grübeln. Vielleicht konnten sie beide ein klein wenig Stolz hergeben und sich ein Stück annähern?
Es kostete ihn viel Überwindung, an der nächsten Häuserecke abzubiegen, den Block einmal zu umrunden und dann in
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