Dark Future: Herz aus Feuer
werden mussten – waren bis zum Ersten Adelskrieg Teil der Gesellschaftsordnung gewesen. Es war damals üblich gewesen, der Dame die Tür aufzuhalten und ihr den Vortritt zu lassen. Der Gedanke war seltsam, dass Frauen körperlich unterlegen und zu schwach sein sollten, allein eine Tür zu öffnen.
Dann erinnerte sie sich … Nein, darum ging es nicht. Es war
höflich,
das zu tun. Er wollte nur höflich sein.
»Oh«, murmelte sie. »Du versuchst, höflich zu sein. Es wäre allerdings einfacher für mich, meinen Scooter rauszuschieben, wenn du zuerst rausgehen würdest.«
Er lachte kurz auf, und sie fragte sich, ob es ihr oder ihm gegolten hatte.
»Na gut.« Mit einem Achselzucken ging er durch die offene Tür und wandte sich nach rechts.
Tatiana folgte ihm. Sie schaltete den Gleitflächen-Modus ein, so dass die Kufen des Scooters vom rissigen Betonfußboden abhoben und die Maschine von einem Luftkissen getragen wurde. Dann schob sie den
Morgat
aus der engen Kabine. Seltsamerweise schlug ihr Herz, nachdem sie wieder in Freiheit war, viel schneller.
Oder vielleicht raste es auch so, weil sie tief im Innern der Erde war und weil der einzige Weg zurück ein uralter Lift mit doppelter Sicherung durch einen Code plus Netzhauterkennung war.
Aber falls es nötig werden sollte, konnte sie, um zu verschwinden, noch immer die Kabel des Lifts hinaufklettern.
Sie sah sich um und erblickte eine große freie Fläche. Freiliegende graue Rohre verliefen unter der Decke. Ein Metallgeländer führte an einer Seite der Galerie entlang, um die Unaufmerksamen vor einem Sturz zu bewahren.
Sie ging vor, lehnte sich mit der Hüfte an das Geländer und sah hinunter. Generatoren. Reihen mit stillgelegten Generatoren, die noch mit fossilen Brennstoffen gelaufen waren. Eine Erinnerung an die Zeiten vor dem Zweiten Adelskrieg.
Doch sie hatte von oben das Summen eines Generators gehört und konnte es auch jetzt noch in der Ferne hören. Also war hier unten irgendetwas, das funktionierte und in Betrieb war.
Atomenergie? Sie gingen ein großes Risiko ein, falls sie Atomenergie als Stromquelle nutzten. Das Neue Kommando hatte vor zehn Jahren jede Form von Nuklearenergie verboten, solange es nicht staatliche Anlagen waren, in denen sie genutzt wurde. Dabei erwischt zu werden, einen nicht staatlichen nuklearen Mikroreaktor zu betreiben, sicherte dem Täter ein Ticket in die Steinbrüche Afrikas – ohne Rückfahrkarte.
Windenergie? Sie hatte an der Oberfläche keine Windräder gesehen. Das war keine Überraschung, denn die eisigen Temperaturen machten diese Technologie für das Ödland ungeeignet.
Sie trat vom Geländer zurück und bemerkte, dass Tristan sie beobachtete. »Was ist das hier für ein Ort?«, fragte sie.
Er atmete durch die Nase aus. »Home sweet home.«
Wie ausgesprochen uninformativ. Sie trommelte leicht mit dem Finger auf ihren Oberschenkel.
»Okay. Was
war
das hier einmal? Ein Kraftwerk der Alten Führung für eine Stadt, die nicht mehr existiert?«
Er legte den Kopf ein bisschen schräg. »Wenn du es verstehst, sind die Dinge, wie sie sind. Wenn du es nicht verstehst, sind die Dinge auch so, wie sie sind.«
Verwirrt blickte sie ihn an. »Das ist entweder das Klügste oder das Dümmste, was ich je gehört habe.« Sie neigte dazu, Letzteres anzunehmen. »Und es ist eine unlogische Schlussfolgerung.«
»Ist es das?« Er lächelte unverhohlen amüsiert. Es war ein angenehmes Lächeln, als würden sie und er den Witz kennen und sonst niemand. Eine Erkenntnis dämmerte ihr, und sie schlug danach wie nach einer Mücke.
»Deine Bemerkung hatte keinen Bezug zu der Äußerung, der sie folgte«, erklärte sie.
Er hob die Augenbrauen. »Ich hätte dich nicht für den besonders analytischen Typ gehalten.«
Wenn er wüsste …
»Also, wo ist der Wasserstoff?« Sie war fertig mit dieser Unterhaltung.
Mit einem Kopfnicken deutete er auf einen Punkt hinter ihr, und sie drehte sich um und blinzelte.
An der Wand – genau wie er versprochen hatte – standen riesige Tanks mit Wasserstoff. Allerdings sahen sie nicht so aus wie die Tanks, die sie kannte. Sie waren uralt und gewaltig groß.
»Ziemlich beeindruckend, oder?«, sagte er mit einem ironischen Unterton in der Stimme.
Einen Moment lang war sie sprachlos und trat näher, um sich die Tanks genauer anzusehen.
»Die älteste Lagermethode, die ich je gesehen habe, war die Lagerung in organischen Polymeren. Ein Polymer konnte drei Prozent seines Gewichts an
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