Dark Lord. Immer auf die Kleinen! (German Edition)
Vorstellung, wie eins von Agrashs Taschentüchern aussehen mochte, wurde ihr auf der Stelle übel. »Nein, bitte kein Taschentuch! Zeig mir einfach deine Skizzen.«
»Sehr wohl, Herrin.« Agrasch blätterte in seinem Notizbuch zu einer mit seltsamen Zeichen ausgefüllten Seite. Weil sie auf keinen Fall Dirks Rune benutzen wollte, hatte er auf Suus’ Wunsch hin eine Auswahl neuer Siegel entworfen.
»Das hier gefällt mir«, sagte Suus.
»Obwohl, eigentlich ist es etwas zu überladen«, fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu.
»Wie wäre es mit mit diesem, Herrin?«
»Hmh, vielleicht, aber auch etwas überladen. Meinst du wirklich, man könnte daraus ein Siegel machen? Hast du noch andere?«, fragte sie.
»Nun, das hier vielleicht.«
»Hmmmh…«
In diesem Moment erfüllte ein entsetzlicher Schrei, ein furchtbares Heulen den Turm von der Spitze bis in die tiefsten Verliese. »Was war das?«, fragte Suus zu Tode erschrocken.
»Das sind die Pforten der Verdammnis, Euer Dunkelheit!«, erklärte Agrasch mit sorgenvollem Gesicht.
»Du meinst, der Schrei kam von den Gargoyles, den Wasserspeiern? Was bedeutet das?«, fragte Suus. Panik erfasste sie.
»Das ist der Alarm, die Gargoyles schlagen Alarm. Das bedeutet, dass der Turm angegriffen wird!«
»Oh mein G… angegriffen! Was sollen wir nur tun?«
»Wir müssen wohl… ähm… Ihr müsst nach da runter, Herrin, die Lage peilen«, erklärte Agrasch und stopfte sein Notizbuch zurück in den Lederbeutel.
Im ersten Moment war Suus wie gelähmt vor Angst, doch dann riss sie sich zusammen und bemühte sich, möglichst entschlossen auszusehen.
»Na, dann wollen wir doch mal sehen, was da los ist! Agrasch, mitkommen!«, befahl sie.
»Jawohl, Herrin«, sagte Agrasch mit düsterer Miene.
Der Ring an Suus’ Finger begann langsam zu pulsieren, die blutroten Runen glühten auf, während sie die Treppe hinunterlief. Agrasch bildete etwas widerwillig die Nachhut.
Suus stürmte aus dem Tor, dicht gefolgt von Agrasch.
Und blieb vor Entsetzen wie angewurzelt stehen. Die Wasserspeier mit ihren Monsterköpfen heulten noch immer aus Leibeskräften – und jetzt verstand sie auch, warum.
Eine hochgewachsene Menschengestalt, die von Kopf bis Fuß in einer schimmernden Rüstung steckte und als Helmschmuck einen reich verzierten Einhornkopf trug, marschierte ihr entgegen. Der Anführer führte ein mächtiges beidhändiges Schwert. Hinter ihm marschierten ungefähr fünfzig mit Speeren bewaffnete Krieger in Kettenpanzern. Einer von ihnen bohrte einem Wichtel im Vorbeigehen seinen Speer durch die Kehle. Die restlichen Goblinwachen kauerten dicht vor der Außenmauer des Turms, fuchtelten verzweifelt mit ihren erbärmlichen Messern und winzigen Streitäxten, während sie winselnd um Einlass flehten. Bis an die Zähne bewaffneten Menschen hatten sie nichts entgegenzusetzen.
Suus blieb vor Schreck die Luft weg. Das konnte nicht wahr sein! Nein, es durfte einfach nicht wahr sein! Agrasch kauerte hinter ihr, an ihren Rockzipfel geklammert, und schniefte verschreckt.
Als er sie erblickte, blieb der Anführer stehen, seine Kriegertruppe kam ebenfalls zum Stillstand. Als er sein Visier hochklappte, kam das Gesicht eines Mannes mittleren Alters zum Vorschein, mit grau meliertem Bart und strahlend blauen Augen. »Ich bin Rufino, Edler Ritter vom Orden des Heiligen Einhorns, und ich werde dich für immer vernichten, Kreatur der Dunkelheit!«, brüllte er und wies mit seinem Schwert auf Suus. Die Speerträger hinter ihm stießen einen wilden Schlachtruf aus.
Das war alles etwas zu viel für Suus. Gleich würde sich ein riesenhafter Krieger mit blutgetränktem Schwert auf sie stürzen und fünfzig Speere würden sie durchbohren. Sie erinnerte sich an frühere Zeiten, als sie von einem der unterbelichteten Schlägertypen an der Schule als Grufti beschimpft worden war.
Und sie tat genau das, was sie auch damals getan hatte. Sie hielt ihm ihre Handfläche entgegen und sagte: »Meinetwegen, Alter. Erzähl das meiner Hand, mein Kopf hört dir sowieso nicht zu.«
Rufino zwinkerte verwirrt… sie hatte ihn offenbar völlig aus dem Konzept gebracht. Tatsächlich trat er einen Schritt vor und redete ihre Hand an: »Tochter der Dunkelheit, Höllenqualen sollst du erleiden und für deine üblen Verbrechen auf dem Scheiterhaufen brennen!« Kampflustig riss er sein Schwert hoch.
Gedämpftes Gemurmel erhob sich unter seinen Männern, während sie immer wieder auf Suus zeigten. Rufino hielt mitten in
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