DARK MISSION - Fegefeuer
hatte. Statt weiteren Worten entrang sich der Kehle der Jägerin ein Keuchen, der Schock ließ sie erbleichen. Silas musste kein Hellseher sein, um zu wissen, dass ihr gerade schwarz vor Augen wurde, so schwarz wie die Waffe, die ihren Fingern entglitt und zu Boden polterte. Schusswunden taten höllisch weh.
Sie taten noch mehr weh, wenn ein Mann seinen Daumen in sie bohrte.
»Tut mir echt leid«, meinte Silas rau.
Naomi holte mit dem Fuß aus, traf genau Silas’ Knie. Fluchend wirbelte er sie um die eigene Achse, packte ihren Hinterkopf und knalltesie mit der Stirn gegen die Außenwand des Lasters. Die Metallwand dröhnte wie ein tiefer Gong.
Naomi erschlaffte in Silas’ Armen.
»Tut mir echt leid«, wiederholte er. »Du warst immer schon zu gut in deinem Job.« Langsam ließ er sie aufs Pflaster sinken, so sanft wie möglich, und überprüfte ihren Puls. Morgen würde sie eine verdammt große Beule auf der Stirn haben, aber momentan ging es ihr gut. Sie war in Sicherheit und ihm verflucht noch mal nicht mehr im Weg.
Er griff sich ihr Com und drehte sich auf dem Absatz um.
»Silas.«
Er zögerte. Dann, weil er ganz genau wusste, was er dem Mann alles schuldete, wandte er sich noch einmal um. Jonas hing halb aus dem Truck-Auflieger heraus, hatte wohl einen Arm in dessen Inneren um irgendetwas geschlungen, an dem er sich festhalten konnte.
»Vergiss es«, warnte Silas, sein Ton entschlossen. »Misch dich ja nicht ein!«
Jonas hob die freie Hand, in der er ein Com-Gerät hielt. Er warf einen raschen Blick auf Naomis reglosen Körper, der zu Silas’ Füßen lag. Sein Blick kehrte zu Silas’ Gesicht zurück; Jonas blieb die Ruhe selbst. »Nimm lieber meins, Kumpel!«
Silas stierte ihn an. Meinte Jonas das tatsächlich ernst? War das irgendein Trick, um ihn hereinzulegen?
Aber dann begegneten sich ihre Blicke. Da stand viel über den Kampf mit den Schmerzen in den verkrüppelten Beinen zu lesen, über all den Schlamassel, für den allein Silas verantwortlich war …
Er fing das Com auf, als es in seine Richtung flog.
»Nur damit das klar ist«, sagte Jonas, und ein Lächeln ließ seinen Ziegenbart hüpfen, »als Märtyrer machst du echt ’ne beschissene Figur! Gib’s auf!«
Silas blickte auf das Com, steckte es in die Tasche. »Jonas, ich …«
»Ach, verpiss dich!«, erwiderte Jonas freiweg, sagte es leicht daher und wedelte auffordernd mit der Hand. »Geh schon und rette die Kleine! Lass Nai ihr Com, denn sie wird’s noch brauchen!«
»Genau.« Silas ließ es fallen und übersah geflissentlich, dass Jonas zusammenzuckte, als das Gerät auf dem Bürgersteig aufschlug. »Jonas? Halt den Mund!«, fügte er nahtlos hinzu, als der schon den Mund aufmachte. »Wenigstens für einen Moment. Hör mir bitte einfach zu!«
Jonas schloss den Mund wieder.
»Ich war dumm damals.« Er hob die Hand, als er bemerkte, dass sich die Augen seines Gegenübers verdunkelten. »Wir alle waren es. Aber ich war derjenige, der den Befehl gegeben hat. Also …« Seine Gedanken überstürzten sich. »Also sorg bitte dafür, dass ich dieses Mal nicht die Verantwortung trage, verstanden?«
Der Techie quittierte das mit einem schiefen Lächeln. »Laut und deutlich, Sir.«
»Ich meine es ernst, Mann!«, knurrte Silas. »Lass nicht zu, dass ich hier zum Exempel werde! Und komm ja nicht auf irgendwelche komischen Gedanken, klar? Halt dich schön an die Mission! Nur …« Mit gerunzelter Stirn blickte Silas auf Naomis reglosen Körper hinunter. »Herrgott noch mal, Jonas, vergiss dabei nicht, deinen Verstand zu gebrauchen!«
Jonas’ Grinsen wurde breiter. »Silas?«
»Was denn?«
»Geh endlich und rette deine Kleine!«
Eine Sekunde lang versenkte Silas den Blick in dunkelgrüne Augen, studierte sie. Als Jonas die Augenbrauen hob, schüttelte Silas den Kopf, resigniert, und setzte sich halb humpelnd, halb joggend in Bewegung.
Er musste ein Auto klauen. Eines kurzzuschließen war nicht weiter schwer, vor allem weiter unten, in den Unterebenen von New Seattle. Während er die Straßen bereits mit den Augen absuchte, summte Jonas’ Com. Silas schob es auf.
Da sah er die Karte.
»Danke, Jonas«, murmelte er und ihm war seltsam warm ums Herz. »Du Blödmann.«
KAPITEL 24
Wegen der Kapuze über ihrem Kopf konnte Jessie nichts sehen, kaum etwas hören. Sie hätte nicht einmal sagen können, ob es nur hin und her oder im Kreis oder doch auf ein Ziel zuging. Ob sie von vielen umzingelt war oder immer noch nur von den beiden
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