Dark Moon
dass sich bei uns zu Hause eine gedrückte Stimmung verbreitete, die sich durch die bevorstehende Beerdigung Emilias noch verstärkte. Mom hatte sich notgedrungen zwei Tage freigenommen, da sie sich bereit erklärt hatte, Emilias Beisetzung zu organisieren. Den Duponts wollte und konnte sie das nicht zumuten. Die Fensterscheibe in Emilias Haus war mittlerweile ausgetauscht worden und wir verbrachten einen weiteren Tag damit, das Haus nach privaten Dokumenten zu durchsuchen. Gegen Abend hörte ich draußen Marks Motorrad.
»Hallo«, sagte ich und begrüßte ihn mit einem Kuss.
»Ich habe den Schlüssel«, sagte er ein wenig atemlos, so als wäre er den ganzen Weg zur Water Lane mit dem Fahrrad gefahren. Obwohl es schwül war, trug er eine schwere Lederjacke, denn es hatte inzwischen wieder angefangen, leicht zu regnen.
»Das trifft sich gut«, rief meine Mutter aus der Küche. »Wir haben das ganze Haus auf den Kopf gestellt, aber nichts gefunden. Ich war schon kurz davor, die Polizei zu verständigen.«
»Hallo, M s Garner«, sagte Mark und legte seinen Helm auf den Esstisch. Die Jacke hängte er über einen Stuhl.
»Auch eine Tasse?« Sie hielt eine Thermoskanne hoch und schüttelte sie leicht. »Ist noch halb voll.« Es sprach für Moms Feingefühl, dass sie nicht Emilias Maschine benutzt hatte, sondern ihren eigenen Kaffee mitgebracht hatte.
»Besten Dank, aber ich habe heute schon mindestens zwei Kannen getrunken.« Er hielt den Schlüssel hoch. »Sollen wir?«
Meine Mutter machte eine einladende Geste. »Du kennst den Weg.«
Ich hatte kein gutes Gefühl, als wir in den Keller hinabstiegen. Die schwarz gestrichene Tür machte mir Angs t – oder vielmehr das, was sich hinter ihr befinden mochte. Eine Welle von Verzweiflung, Angst und Trauer hatte mich erfasst, als ich bei meinem letzten Besuch die Klinke berührt hatte, so etwas wollte ich nicht noch einmal erleben. Mark drehte den Schlüssel um, stieß die Tür auf und schaltete das Licht ein.
Rosenduft schlug mir entgegen: schwer, süß und betäubend. Ich musste mich am Türrahmen festhalten, damit ich nicht in die Knie sank.
In dem Raum herrschte ein heilloses Durcheinander. Dutzende unbeschrifteter Umzugskartons waren aufeinandergestapelt. Ein zerschrammter Dachkoffer, in dem die Winterausrüstung einer ganzen Familie Platz gehabt hätte, lag in der Ecke. Eine Unzahl Gartengeräte rostete vor sich hin. Meine Mutter öffnete einen der Kartons und förderte eine Aktenmappe zutage.
»Newburyport 1978–1980«, murmelte sie. Dann begann sie den Ordner durchzublättern, auf ihrem Gesicht spiegelte sich erst Erstaunen, dann Unglauben. Sie legte die Akten beiseite, um sich die nächsten Mappen vorzunehmen.
»Halifax 1969–1971, Des Moines 1960, Grand Rapids 1997–1999, Baton Rouge 1999–2002.« Mom drehte sich um. »Mark, kannst du bitte mal herkommen?«
Ich stand noch immer wie angewurzelt auf der Schwelle. Dieser süßliche Duft hatte mich schon in Emilias Auto verwirrt; hier unten war er so stark, dass er mich geradezu lähmte. Ich konnte keinen Schritt tun. Denn irgendetwas war hier unten. Etwas, was ganz und gar nicht mit unserem Besuch einverstanden war. Meine Hand glitt von der Türklinke. Ich wankte. Meine Mutter sprang auf und stützte mich. »Lydia, was ist mit dir?«
»Riecht ihr das nicht?«, fragte ich verwundert.
Mark hob den Kopf und schnüffelte. »Da ist nichts.«
»Doch«, versicherte ich ihm. Mir war noch immer schwindelig. »Hier riecht es wie in einem Rosengarten. Nur viel intensiver. Und es ist kalt.« Ich atmete tief durch und schüttelte benommen den Kopf. Mom führte mich zu einem klapprigen Stuhl. Fürsorglich legte sie eine Hand auf meine Stirn.
»Ich hab kein Fieber«, knurrte ich sie an und schob sie von mir fort. »Sag mir lieber, was du gefunden hast.«
»Hinweise auf verschiedene Lebensläufe«, sagte sie und hob die erste Mappe auf, die sie geöffnet hatte. »Newburyport ist eine kleine Stadt im Nordosten der USA. Dort hat eine gewisse Laura Bedfort zwei Jahre lang als Grafikerin gearbeitet. Hier ist alles abgeheftet: Mietverträge, Geschäftskorrespondenz, Rechnungen.« Sie ließ den Ordner fallen und nahm die nächste Mappe. »1960, Des Moines, Iowa. Hier war es eine Carla Gimenez. Sie leitete eine Kunstschule in der Centre Street.«
Mark hatte sich währenddessen an einer Metallkassette zu schaffen gemacht und sie mit einem Schraubenzieher aufgehebelt. Als er sie endlich offen hatte, stieß er einen leisen
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