Dark Moon
auf dem Mars gefunden.
Dads Worte beruhigten mich ein wenig, obwohl mir das kleine Wörtchen »noch« in seiner Äußerung über die Konkurrenz nicht entgangen war.
»Übrigens hat Maggie angerufen. Marks Vater darf heute das erste Mal nach Hause kommen.«
»Oh«, meinte ich nur. »Aber er wird nicht entlassen, oder?«
»Nein, natürlich nicht. Dazu ist es noch viel zu früh«, sagte Dad und hob eine Augenbraue. »George hat eine schwere Zeit hinter sich. Er kann jede Unterstützung gebrauchen.«
Ich öffnete den Küchenschrank und begann für uns den Tisch zu decken. »Und was ist mit Mark? Und mit seiner Mutter? Denkt auch mal jemand an sie? Alles dreht sich immer nur um George Dupont! Dabei hat er doch die ganze Sache gegen die Wand gefahren.«
»Er ist krank.« Mein Vater klang jetzt wie ein Lehrer, der einem verstockten Schüler zum x-ten Mal erklärt, dass eins und eins nicht drei ergibt. »Deswegen ist er jetzt in einer Klinik.«
»Na und? Muss er dann auf einmal keine Verantwortung mehr tragen für das, was er seiner Familie angetan hat?« Wütend drückte ich auf den Knopf der Kaffeemaschine.
»Doch, und das tut er, sonst wäre er nicht freiwillig in den Entzug gegangen.« Dads Stimme wurde versöhnlicher. »Lydia, es reicht doch eigentlich, wenn Mark diese Diskussion mit seinen Eltern führt.«
»Ja, vielleicht hast du Recht«, sagte ich und schnappte meine Autoschlüssel. Ich war gereizt und brauchte etwas Zeit für mich.
»Wo fährst du hin?«, fragte Dad verwirrt.
»Jemanden besuchen.«
Kapitel
G roßmutter erwartete mich mit ihrem Gipsbein und dem Krückstock schon an der Haustür und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Komm rein.« Drinnen setzten wir uns an den großen Küchentisch.
»Und?«, fragte ich.
»Ich habe hier ein Buch und ich möchte, dass du es liest.« Sie schob mir einen schmalen Band über den Tisch. Er war in Leinen gebunden und so zerlesen, dass er beinahe auseinanderfiel. Überrascht hielt ich ihn in die Höhe, um ihn von allen Seiten zu betrachten. Dann schob ich ihn wieder über den Tisch zurück.
»Kenne ich schon«, sagte ich. »In Emilias Bibliothek stand auch eine Ausgabe.«
Sie verzog das Gesicht, als plagte sie ein Ziehen in dem eingegipsten Bein. »Hast du es gründlich gelesen?«, fragte sie.
»Ja.«
»Auch das letzte Kapitel?« Grandma ließ nicht locker.
»Die Geschichte von Masau?« Ich nickte. »Ein interessantes Märchen.«
»Das ist kein Märchen«, sagte Grandma kühl.
»Du glaubst also, dass es Masau wirklich gibt?«
»Ob dieser Gott wirklich so existiert hat, weiß ich nicht.« Grandmas Stimme klang so streng, als duldete sie bei diesem Thema keinen Widerspruch. »Doch das Kind, das er einst verfluchte, lebt.«
Ich lächelte. »Natürlich. Und wer ist die Mutter, die auf der Suche nach der verlorenen Tochter durch die Wälder streift? Du?«
Grandma funkelte mich wütend an, entspannte sich aber gleich wieder. »Ich liebe deine Mutter. Aber manchmal wünschte ich mir, sie hätte dir mehr über uns erzählt.«
»Bitte Grandma, hör auf.«
»Nachtrabe lebt«, wiederholte sie. »Und sie hat den Fluch, der auf ihr liegt, an andere Menschen weitergegeben.«
»Welchen Fluch?«, fragte ich.
»Den Fluch der Unsterblichkeit.«
Ich lachte. »Ganz im Ernst, Unsterblichkeit is t – wenn es sie gib t – bestimmt alles andere als ein Fluch. Ich kenne genug Menschen, die nur zu gerne ewig leben würden.«
»Wirklich? Auch wenn sie dafür einen hohen Preis zahlen müssten? Denn sobald Nachtrabes Fluch auf sie übergegangen ist, sind sie keine Menschen mehr.«
»Grandma. Bitte. Das sind Schauergeschichten, die man Kindern vor dem Einschlafen erzählt.«
»Diese Nachtwesen können ohne Menschen nicht leben. Früher tranken sie unser Blut. Heute brauchen sie unsere Hilfe.«
»Grandma, das ist absurd!«, sagte ich lauter, als ich wollte. »Weißt du, wovon du da redest?«
»Oh ja, das weiß ich. Emilia Frazett a …«
»Was hat Emilia mit diesen Schauermärchen zu tun?«, fiel ich ihr zornig ins Wort.
»Sehr viel. Die Nachtwesen haben besondere Gaben und manchmal gelingt es ihnen, diese Gaben auf ihre Gefährten zu übertragen. Menschen, die sich mit ihnen einlassen, werden nicht unsterblich, aber sie altern viel langsamer. Wie alt war Emilia? Siebzig? Du hast selbst gesagt, dass sie viel jünger aussah. Als du mir das erzähltest, habe ich zum ersten Mal Verdacht geschöpft. Und als die Hunde und das Pferd gefunden wurden, wusste ich, dass du in
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