Dark Moon
großer Gefahr schwebst.«
»Was haben die Tiere damit zu tun?«, fragte ich.
»Die Nachtwesen trinken Tierblut, weil sie keine Menschen töten dürfen oder wollen.«
»Du redest von Vampiren!«, rief ich ungläubig. »Märchenfiguren, Fabelgestalten!«
»Nenn sie, wie du willst. Es sind Kreaturen der Dunkelheit. Doch es gibt sie und wir müssen mit ihnen zusammenleben.«
»Das ist doch lächerlich!« Ich stand auf und wollte gehen.
»Setz dich!«, kommandierte Grandma.
Zögernd nahm ich wieder Platz. Sie stand auf und schenkte mir einen Kaffee aus ihrer Thermoskanne ein. »Alles, was ich dir jetzt sage, ist wahr. Seit Tausenden von Jahren gibt es zwischen den Nachtwesen und den Menschen ein Stillhalteabkommen. Sie leben unter uns. Und sie sind auf Menschen angewiesen, weil ihnen der Tag verwehrt ist. Es ist eine vertraglich geregelte Symbiose, von der beide Seiten profitieren.« Sie holte eine Dose mit Keksen aus dem Küchenschrank. »Was weißt du über Charles Solomon?«
»Nur das, was Mark herausbekommen hat: dass er Inhaber einer erfolgreichen Anwaltskanzlei ist und beinahe jeden Fall gewinnt. Er ist wohlhabend, aber niemand weiß, wie er so großen Reichtum anhäufen konnte. Es wird spekuliert, dass er Kontakte zum organisierten Verbrechen hat und für die Mafia als Geldwäscher tätig ist.«
»Die Mafia?« Grandma hob belustigt die Augenbrauen. »Charles Solomon gewinnt jeden Fall, weil sein Vampir einige seiner Fähigkeiten auf ihn übertragen hat: Beispielsweise kann er sein Gegenüber hypnotisieren. Nachtwesen können sehr einnehmend sein, wenn es die Situation verlangt. Solomon kann andere Menschen so manipulieren, dass sie, ohne es zu merken, in seinem Interesse handeln.«
»Und du glaubst, dass auch Emilia nach und nach vampirische Eigenschaften angenommen hat?«
»Sie sah jünger aus, als sie tatsächlich war. Und sie hat versucht, dich Mark zu entfremden.«
»Nun, wie du siehst, hatte sie keinen Erfolg«, sagte ich. »Abgesehen davon: Warum hätte sie das tun sollen?«
»Genau diese Frage habe ich mir auch gestellt, bis ich erfuhr, dass sie an einem Aneurysma litt. Sie wusste, dass sie bald sterben würde.«
»Sie suchte eine Nachfolgerin«, vollendete ich Grandmas Gedanken. Jack Valentine. Ich wurde bleich. Und plötzlich erfasste mich eine ohnmächtige Wut auf diese Frau, die ich so sehr für ihre Art zu leben bewundert hatte. Ihr Interesse an mir war so schmeichelhaft gewesen, dass ich mich nie nach dem Grund dafür gefragt hatte.
Grandma fixierte mich mit ihrem durchdringenden Blick. »Können wir offen miteinander reden?«
»Ja«, flüsterte ich.
»Was hat Charles Solomon von euch gewollt?«
»Er hat sich als Emilias Nachlassverwalter vorgestellt und wollte eine Liste der Kunstgegenstände in Emilias Haus zusammenstellen. Mom und Dad vertrauten ihm ohne Vorbehalt. Das hat mich sehr gewundert.«
»Ganz im Gegensatz zu dir«, stellte Grandma fest.
»Ich hatte Angst vor ihm.«
»Ist dir noch etwas an ihm aufgefallen? Wie hat er sich verhalten?«
»Sehr selbstsicher.« Ich versuchte mir jenen Nachmittag in Erinnerung zu rufen. »Eins war komisch: Als wir in der Water Lane ankamen, konnte er aus irgendeinem Grund nicht über die Türschwelle gehen. Erst als Dad ihn ungeduldig dazu aufforderte, trat er ein. Danach wurde es für Mom und Dad richtig schlimm. Sie waren auf einmal vollkommen weggetreten und konnten sich auch später nicht mehr an diesen Nachmittag erinnern. Alles komplett gelöscht. Ich war natürlich entsetzt über den Zustand, in dem Mom und Dad waren. Ich war mir sicher, dass Solomon dahintersteckte, aber ich wusste nicht, wie er es angestellt hatte. Also versuchte ich ihn rauszuwerfen.« Fast hätte ich bei der Erinnerung an diese schräge Situation laut aufgelacht.
»Du bist etwas Besonderes«, wiederholte meine Großmutter. »Und das sage ich nicht nur, weil du meine Enkelin bist. Es gibt eine Gruppe von Menschen, die darauf achtet, dass das Friedensabkommen zwischen Menschen und Vampiren eingehalten wird«, erklärte sie. »Diese Menschen sind seit unzähligen Generationen meist Angehörige der First Nations. Und manche besitzen Gaben wie du: Sie sind immun gegen die hypnotischen Fähigkeiten der Nachtwesen.«
»Wie stark sind Vampire?«, fragte ich.
»Sehr stark«, entgegnete mir Grandma ernst. »Sie hatten schon großen Einfluss auf diesem Kontinent, bevor die Europäer kamen. Und ihre Macht ist mit der Zeit nicht kleiner geworden, auch wenn die Nachtwesen
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