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Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)

Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)

Titel: Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Semesch , Christoph Wittmann
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sorgfältig gescheitelt, dass nicht eine einzige widerborstige Strähne abstand. Die Haut des Unbekannten strahlte unnatürlich bleich, hatte Ähnlichkeit mit dem Teint einer antiken Marmorstatue.
    Mit emotionslosen Augen begutachtete er Manfred. Eben noch beunruhigt, weil er sich für alle unsichtbar vorkam, b emächtigte sich nun unbehagliches Grauen seiner. Es lag an der Art und Weise, wie ihn der Mann anstarrte. Nur ihn. Kalt, gleichgültig, unausweichlich. Er erweckte den Eindruck, schon Millionen Beerdigungen erlebt, dabei immer mehr von seinem Mitgefühl verloren zu haben, bis nur noch kaltes Eis in seinem Herzen zurückgeblieben war. Als er Manfred zunickte, fühlte es sich an, als würde die Kälte auf ihn übergreifen.
    »... der Leib Christi...« Der Priester legte eine Hostie in die Hand einer Gläubigen, die sie sich daraufhin in den Mund schob.
    Die Eucharistie hatte begonnen. Nur fünf Personen hatten sich im Mittelgang eingefunden, um das Opfer des Heilands zu empfangen. Die Orgel und der Chor trugen Heilig, Heilig, Heilig vor, und die Trauernden stimmten ein. Die kalten, steinernen Kirchenmauern reflektierten den Singsang und verstärkten ihn dabei, so dass er bald in dröhnendem Crescendo durch die Bänke hallte.
    Als sich Manfred erneut nach dem Unbekannten u mwandte, stellte er fest, dass dieser verschwunden war. Er überblickte die hinteren Sitzreihen, konnte ihn aber nicht finden. Er musste die Kirche verlassen haben. Merkwürdig nur, dass er das schwere Eichentor nicht gehört hatte. Er zuckte die Schultern. Kein Wunder bei dem höllischen Lärm.
    »... werden nun unseren lieben Verstorbenen zu seiner letzten Ruhestätte geleiten und ihn dort in Gottes Obhut übe rgeben...«
    Manfred registrierte nur auf einer unbewussten Ebene die vier älteren Herren, die sich beidseitig vor und hinter dem Sarg platzierten, um den Rollwagen zu schieben. An die Spi tze des Trauerzuges setzte sich einer der Ministranten, das Kreuz Christi hoch erhoben. Der Pfarrer nahm hinter dem Verstorbenen Aufstellung, ihm folgten die Gläubigen. Manfred reihte sich wie in Trance mit seiner Familie ein. Er hätte sie gerne bei den Händen genommen, wagte es aber nicht, aus Angst wieder dieses Gefühl der Irrealität zu verspüren. Nicht einmal sie anzusehen brachte er über sich, da er tief im Inneren wusste, sie würden seine Blicke nicht erwidern.
    Kaum war die Pforte geöffnet, brandete ihnen der Regen wie ein Wutgebrüll entgegen. Die Trauergemeinde spannte Schirme auf oder zog sich Mützen, Hüte oder K apuzen über die Köpfe, um wenigstens geringfügig gegen die Elemente geschützt zu sein. Viel brachte es nicht. Die Nässe schien nicht bloß von oben zu kommen, vielmehr stürmte sie von allen Seiten auf ihre Widersacher ein. Binnen Minuten waren die Leute durchnässt. Die Haare klebten ihnen an der Stirn, in den Schuhen sammelten sich eisige Pfützen, durch die Fasern der Kleider kroch nasser Frost und brannte auf der Haut wie Feuer.
    Doch von Wind und Wetter ließen sich die Betroffenen nicht aufhalten. Unbeirrbar trotzten sie ihnen und setzten i hren Weg zum Friedhof fort.
    Manfred tappte in eine tiefe Lache, sah seinen Knöchel im Wasser versinken. Doch er spürte es nicht. Auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: er war nicht nass! Obwohl er seit mehreren Minuten im strömenden Regen marschierte, hatte ihn nicht einmal ein einziges winziges Tröpfchen getro ffen. Noch nicht einmal gestreift. Aber er wunderte sich nicht über dieses Phänomen, ganz im Gegenteil, es erschien ihm seltsam normal.
    Auf der anderen Straßenseite entdeckte er den merkwürd igen Mann in Schwarz wieder. Es hatte den Anschein, als würde er den Zug beobachten, aber Manfred wusste, dass er nur Augen für ihn hatte.
    Auch der Mann war knochentrocken, eine Wüste inmitten des Ozeans.
    Manfred ging an ihm vorüber, ließ ihn aber keine Sekunde aus den Augen.
    Erst als sie auf dem Friedhof ankamen, versperrte eine Mauer ihm die Sicht auf dessen Gestalt.
    Sie erreichten das offene Grab. Der Sarg wurde über die Öffnung bugsiert, und der Totengräber ließ ihn mit einem Knopfdruck in die finstere Tiefe hinab. Der Priester sprach ein kurzes Gebet, dann trat er zur Seite, um den Trauernden die Möglichkeit zu geben, dem Toten die letzte Ehre zu erweisen.
    Manfred fühlte sich seltsam, irgendwie losgelöst, als wäre er kein Teil dieser Welt mehr. Hinzu kam, dass seine ohn ehin schon in Mitleidenschaft gezogene Wahrnehmung scheinbar

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